Inspector Rebus 10 - Die Seelen der Toten
Zimmer?«
»Mir recht. Aber vorher müsste ich Sie noch um einen weiteren Gefallen bitten.«
»Was?«
»Da ist jemand, den ich suche. Heißt Archibald.«
»Da gibt's hier 'ne Menge von.«
»Das ist sein Nachname . Sein Vorname ist Alan.«
»Alan Archibald? Sollte ich ihn kennen?« Oakes schüttelte den Kopf.
»Dürfte ich erfahren, wer das ist?«
»Er war Polizist - vielleicht ist er's immer noch. Dürfte aber inzwischen nicht mehr der Jüngste sein.«
»Und?«
Oakes zuckte die Achseln. »Mehr brauchen Sie vorläufig nicht zu wissen. Wenn Sie ein braver Junge sind, erzähle ich Ihnen vielleicht die Story.«
»Für das, was wir Ihnen zahlen, wollen wir sämtliche Storys.«
»Finden Sie ihn einfach. Sie werden mich damit glücklich machen.« Stevens musterte seinen Schützling und fragte sich, wer von ihnen beiden eigentlich die Zügel in der Hand hielt. Er wusste, dass er es hätte sein sollen. Aber irgendwie ...
»Ich kann ein bisschen rumtelefonieren«, räumte er ein.
»So ist's brav.« Oakes stand auf. »In einer Viertelstunde in meinem Zimmer. Bringen Sie alle Zeitungen mit. Ich hab's gern, die Nachricht des Tages zu sein.«
Und damit verschwand er in Richtung Treppe.
14
Es war Jamies Job, Milch, Zeitungen und Frühstücksbrötchen aus dem Laden zu holen. Er hatte das zu einer Kunst vervollkommnet und sahnte kräftig ab, indem er bezüglich der Preise log. Seine Mutter maulte, wusste, dass die Sachen anderswo billiger zu haben gewesen wären, aber »anderswo« wäre für Jamie zu weit gewesen. Sie mochte es nicht, wenn er sich herumtrieb. Aber das war kein Problem: Wann immer er Lust hatte, durch die Stadt zu schlendern, vergatterte er Billy Boy dazu, hinterher zu behaupten, er sei bei ihm gewesen.
Jamie fand sich ganz schön clever.
Er blieb vor dem Laden stehen, um eine zu rauchen. Er kaufte die Zigaretten nicht dort - es war gegen das Gesetz, und der Paki, dem der Laden gehörte, hätte ihm keine verkauft. Er bezog sie von einem älteren Jungen in der Schule, der Zwanzigerpäckchen gegen Tittenmagazine tauschte. Die Magazine besorgte sich Jamie unter Cals Bett. Da lagen so viele davon herum, dass Cal nie was merkte. Selbst bei eisigem Wetter genoss Jamie seine Zigarettenpause vor dem Laden. Frühaufsteher auf dem Weg zur Schule starrten ihn immer an. Freunde stellten sich manchmal dazu. Er wurde beachtet. Eine Nachbarin hatte ihn einmal bei seiner Mutter verpetzt, und die hatte versucht, ihn zu verprügeln, aber er reagierte superschnell, hatte sich unter ihren Arm weggeduckt und war lachend aus der Wohnung geflitzt, während sie ihm hinterherfluchte. Einmal war sie allerdings richtig auf ihn losgegangen, und zwar als die Schule den Brief schickte. Er hatte geschwänzt, ganze Wochen am Stück. Seine Mutter hatte ihn grün und blau geprügelt und ihn heulend und rot vor Scham über seine eigenen Tränen in sein Zimmer geschickt.
Heute würde er wahrscheinlich irgendwann im Lauf des Tages in die Schule gehen. Cal war gut im Briefefälschen. Er machte das schon so lang, dass die Schule glaubte, seine Unterschrift sei die seiner Mutter, und als sie einmal irgendeinen Wisch wegen eines Schulausflugs tatsächlich selbst unterschrieb, hatte der Direktor Jamie argwöhnisch gefragt, wessen Handschrift das sei. Er hatte sogar zum Telefon gegriffen, um Jamies Mutter anzurufen, worüber Jamie nur lächeln konnte: Sie besaßen zu Haus gar kein Telefon. Rund zwei Dutzend Aschenbecher, größtenteils aus dem einen oder anderen Urlaub oder Pub mitgenommen, aber kein Telefon. Cal hatte ein Handy, und das benutzten sie eben in Notfällen - wenn Cal in der Stimmung war und es ihnen erlaubte.
Das war das Problem mit Cal. Er konnte echt cool sein... und manchmal total ausrasten. Wamm! Wie eine Flasche, die an einer Wand zerbarst. Oder er wurde ganz still, schloss sich in seinem Zimmer ein und weigerte sich, ihm Entschuldigungen zu schreiben. Dann zog Jamie los und besorgte ihm was, klaute es vielleicht in irgendeinem Laden: Versöhnungsgeschenke für ein Vergehen, das er nicht begangen hatte. An guten Tagen verpasste Cal Jamie ziemlich schmerzhafte Kopfnüsse und sagte, er sei der Friedensstifter. Jamie gefiel das. Cal sagte, er sei die Vereinten Nationen und sorge für die Aufrechterhaltung eines prekären Waffenstillstands. Solche Sprüche bezog er aus den Zeitungen: »Vereinte Nationen«; »prekärer Waffenstillstand«. Jamie hatte ihn einmal gefragt: »Wenn die Nationen doch angeblich vereint sind - wie
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