Inspector Rebus 10 - Die Seelen der Toten
Rebus' Richtung. Sein Gesicht war gerötet, an beiden Seiten rann ihm der Schweiß hinunter. Jane Barbour drängte sich nach vorn.
»Was ist hier los?«, rief sie.
»Holen Sie nur den Scheißkerl hier raus«, schrie Van Brady als Antwort. »Das Lynchen besorgen wir schon!«
Beifällige Rufe aus der Menge - »Knüpft ihn auf!«; »Hängen ist noch zu gut für ihn!« Barbour hob beide Hände in die Höhe, bat um Ruhe. Sie sah, dass die meisten Demonstranten weiße Klebetiketten an ihren Jacken oder Pullovern trugen. Schlichte weiße Etiketten, auf die man mit der Hand drei Buchstaben geschrieben hatte: GGP.
»Was heißt das?«, fragte sie.
»Greenfield gegen Perverse«, teilte ihr Van Brady mit.
Rebus sah einen Jungen, der die Sticker verteilte. Erkannte ihn als James Brady, Vans Jüngsten.
»Seit wann ist es euer Job, für abartige Dreckschweine wie den einzutreten?«, fragte eine Frau.
»Jeder Mensch hat gewisse Rechte«, erwiderte Barbour.
»Auch Perverse?«
»Darren Rough hat seine Strafe verbüßt«, fuhr Barbour fort. »Jetzt macht er ein Rehaprogramm mit.« Sie sah, dass die Fernsehcrew näher heranrückte, und flüsterte Tom Jackson etwas zu. Er drängte sich zur Kamera vor, hielt eine Hand vor das Objektiv.
»Wir wollen Antworten!«, brüllte Van. »Warum hat man ihn hier einquartiert? Wer wusste davon? Warum hat man uns nicht informiert?«
»Und wir wollen, dass er verschwindet!«, rief eine Männerstimme. Ein Neuankömmling, vor dem sich die Menschenmenge wie das Rote Meer teilte. Ein junger Mann, ein Gesicht wie aus Stein gemeißelt, die Arme nackt. Er stand jetzt Schulter an Schulter neben Van Brady, schenkte Barbour keinerlei Beachtung und richtete seine Kommentare an das Fernsehteam.
» Wir leben hier, und nicht die Polizei.«Applaus und Beifallsrufe.
»Wenn die mit solchem Abschaum« - und deutete mit dem Daumen hinter sich, auf Roughs Wohnungstür -»nicht fertig werden, kein Problem, wir erledigen das selbst. In der Hinsicht haben wir hier in Greenfield schon immer auf Sauberkeit geachtet.« Weitere Beifallsrufe; entschieden nickende Köpfe. Ein Demonstrant: »Du sagst es, Cal.«
Cal Brady, aufrecht neben seiner Mutter, die ihren wortgewandten Sohn voller Stolz ansah. Cal Brady, den Rebus jetzt zum ersten Mal leibhaftig sah.
Na ja, nicht ganz richtig: zum ersten Mal sah und wusste, wer er war. Aber Rebus war Cal Brady vorher schon mal begegnet. In Gaitano's Nachtklub, wo er mit dem Vizegeschäftsführer, Archie Frost, an der Bar gestanden hatte. Frost mit seinem Rattenschwänzchen und seinen schlechten Manieren; sein Freund erst stumm, dann sich rar machend ...
»Können wir darüber reden?«, fragte Jane Barbour.
»Was gibt's denn da zu reden?«, fragte Van Brady und verschränkte die Arme.
»Diese ganze Situation.«
Cal Brady tat so, als sei sie gar nicht da, und wandte sich an seine Mutter. »Ist er da drin?«
»Einer seiner Nachbarn hat Geräusche gehört.«
Cal Brady hämmerte gegen die Fensterscheibe, musste sich dann Schmiere von den Jeans wischen.
»Hören Sie«, versuchte es Jane Barbour weiter, »wenn wir jetzt alle«
»Gute Idee«, sagte Cal Brady. Dann riss er seiner Mutter die Brechstange aus der Hand und schwang sie gegen das Fenster, das in Scherben ging. Packte das schmutzige Laken und riss es samt den Reißzwecken, mit denen es oben am Rahmen befestigt war, herunter.
Er war schon halb über die Fensterbank und, die Brechstange noch immer in der Hand, in die Wohnung gestiegen. Rebus packte ihn an den Füßen und zog ihn wieder heraus. Bradys T-Shirt blieb am Glas hängen und zerriss.
»Hey, Sie!«, schrie Van Brady und verpasste Rebus einen Schwinger. Cal Brady strampelte sich frei, stemmte sich hoch und ging auf Rebus los.
»Wollen Sie das, ja?« Und holte mit der Brechstange aus. Erkannte den Polizisten nicht wieder.
»Ich will, dass du dich beruhigst«, sagte Rebus leise. Er wandte sich zu Van. »Und Sie, Sie benehmen sich.«
Die Menge hatte sich um das Fenster geschart, begierig, einen Blick in die Wohnung zu werfen. Sie sah praktisch wie jede andere aus: mit Emulsionsfarbe gestrichene Wände, Sofa, Sessel, Bücherregal. Kein Fernseher, keine Stereoanlage. Auf dem Sofa Stapel von Büchern: Fotohandbücher, Romane. Auf dem Fußboden Zeitungen, leere Fertigsuppenbecher, eine Pizzaschachtel. Im Bücherregal Dosen und Limoflaschen. Alle schienen von der dürftigen Ausbeute enttäuscht zu sein.
»Das ist ein Bulle«, warnte Van ihren Sohn.
»Hör auf deine
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