Inspector Rebus 10 - Die Seelen der Toten
jemand für Sie!«
Jim Stevens versuchte, den Anblick des in der Kirche urinierenden Cary Oakes aus seinem Bewusstsein zu verbannen. Jetzt, wo er Oakes hatte, brauchte er die Story, und zwar eine richtig heiße Story. Sein Boss hatte sich über die erste Folge beschwert, gemeint, sie war wie eine Amateurnutte: erst die Leute scharf machen, dann die Beine zusammenkneifen; er hoffe sehr, dass noch Besseres folge. Stevens hatte ihm sein Wort gegeben.
Auf Oakes' Nachttisch lag eine Bibel. Trotzdem hatte er in der Kirche... Stevens wollte nicht darüber nachdenken, was es bedeuten mochte. Oakes hatte irgendetwas... man blickte ihm manchmal in die Augen und sah es, und wenn er einen dabei ertappte, konnte er es einfach wegblinzeln. Aber immer wieder, jeweils ein paar Sekunden lang, befand sich sein Geist ganz woanders, an einem Ort, wo der Reporter nicht ums Verrecken hätte sein wollen.
Tu einfach deinen Job , sagte er sich immer wieder. Nur noch ein paar Tage, genügend Zeit, um bei seinem Boss ordentlich Pluspunkte zu sammeln, den anderen Blättern zu zeigen, dass er es noch immer draufhatte, und für den Verlag, der ihm das beste Angebot machte, ein Expose zu verfassen. Er stand schon mit zwei Londoner Häusern in Verhandlung, aber vier weitere hatten abgewinkt.
»Lebenserinnerungen eines Mörders«, hatte ein Lektor abfällig gesagt, »haben wir alles schon gehabt.«
Um eine richtige Angebotsschlacht in Gang zu bringen, brauchte er weitere Interessenten. Zwei ergaben nicht mehr als eine freundliche Rangelei.
Und jetzt das.
Oakes hatte gesagt, er würde nach dem Essen für eine halbe Stunde in sein Zimmer gehen. Die Vormittagssession war gut gelaufen; nicht brillant, aber ganz ordentlich. Genug Rosinen für die nächste Folge. Doch Oakes hatte über Kopfschmerzen geklagt, hatte gemeint, er wolle ein langes heißes Bad nehmen. Nach einer halben Stunde hatte Stevens durchgeklingelt: keine Antwort. An der Rezeption hatte ihn keiner gesehen. Stevens hatte mit dem Gedanken gespielt, rauszugehen und den Observierungsbeamten zu fragen, aber das wäre denn doch ein bisschen peinlich gewesen. Es gelang ihm, den Hotelmanager davon zu überzeugen, dass er sich Sorgen um den Gesundheitszustand seines »Kollegen« machte. Ein Hauptschlüssel verschaffte ihnen Zutritt ins Zimmer. Niemand da, keine Menschenseele. Stevens hatte sich beim Manager entschuldigt, war wieder in sein Zimmer gegangen, wo er jetzt saß, an seinen Nägeln kaute und sich fragte, wohin sich seine Story verzogen haben mochte.
Es musste gespielte Tapferkeit sein.
So heulend und bibbernd, wie ihn die Polizei vorgefunden hatte... Darren Roughs einzige Möglichkeit, sein letztes bisschen Selbstachtung zusammenzukratzen, bestand darin, Barbours Angebot, ihn anderswo unterzubringen, abzulehnen. Sie könne ihm, bis man etwas Besseres fände, eine Zelle auf dem Revier anbieten; in Greenfield könne sie für seine Sicherheit nicht mehr garantieren. Beim »nicht mehr« hatte Rebus gelächelt; wussten sie doch beide, dass es nicht mehr als eine Floskel war.
»Ich bleibe hier«, hatte er gesagt. »Ewig kann ich nicht weglaufen, da kann ich ebenso gut hier und jetzt damit aufhören.« Und er hatte geschmunzelt. »Wie in so 'nem alten Western, nicht? Wie heißt der noch mal, John Wayne.« Er machte aus Finger und Faust einen Colt, ballerte durch die Gegend. Dann wandte er sich ab und schniefte, und sein Gesicht fiel wieder in sich zusammen.
»Ich halte das für keine gute Idee«, meinte Barbour.
»Ich auch nicht«, sagte Andy Davies. Es war Rebus' erste Begegnung mit Darren Roughs Sozialhelfer. Davies war lang, mager und bärtig und hatte rotes Haar, das sich am Scheitel lichtete. Lachfältchen rings um die Augen; kleiner roter Mund.
»Etwas könnten Sie schon für mich tun«, sagte Rough.
Die Hände zwischen die Knie gepresst, beugte sich Davies auf dem Sofa nach vorn. »Was, Darren?«
»Kehrschaufel und Handfeger, dass ich die ganze Scheiße hier beseitigen kann.« Und kickte einen Glassplitter weg.
Die Stadt hatte einen Handwerker vorbeigeschickt, damit er das Fenster verrammelte. In seinen Augen lag Abscheu. Unten hatte ihm jemand einen GGP-Sticker an den Werkzeugkasten geklebt. Mit Säge, Hammer und Akkuschrauber bewaffnet, befestigte er Bretter am Fensterrahmen und sperrte den letzten Rest Tageslicht aus.
Als Rough in die kleine Küche ging, folgte Rebus ihm. Der Sozialhelfer stand auf.
»Schon okay«, sagte Rebus. »Ich will nur kurz mit ihm reden.«
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