Inspector Rebus 10 - Die Seelen der Toten
Vergangenheit eine falsche Wahl getroffen hatte.
Rebus hatte das selbst erlebt, hatte sich zugunsten des Berufs gegen die Ehe entschieden und seine Frau weggeekelt. Sie hatte ihre gemeinsame Tochter mitgenommen. Jetzt hatte er das Gefühl, dass er aus den falschen Gründen die richtige Entscheidung getroffen hatte, dass er von Anfang an zu seinen Fehlern hätte stehen sollen.
Seine Arbeit hatte ihm lediglich eine brauchbare Ausflucht geliefert. Er dachte an Jim Margolies, der sich im Dunkeln in den Tod gestürzt hatte. Er fragte sich, was ihn zu dieser letzten, unwiderruflichen Entscheidung getrieben haben mochte. Niemand schien die leiseste Ahnung zu haben. Rebus hatte im Lauf der Jahre mit einer ganzen Menge Selbstmorden zu tun gehabt: von missglückten bis hin zu ärztlich oder sonst wie unterstützten Suiziden - und sämtlichen Abstufungen dazwischen.
Aber immer hatte es irgendeine Erklärung gegeben, einen entscheidenden Punkt, ein tief sitzendes Gefühl von Scheitern oder Verhängnis. Leaf Hound: »Drowned My Life in Fear«.
Aber im Fall von Jim Margolies passte nichts zusammen. Es ergab keinen Sinn. Seine Witwe, seine Eltern, seine Arbeitskollegen, keiner war imstande gewesen, auch nur die Spur einer Erklärung zu liefern. Er war kerngesund gewesen. In der Arbeit wie zu Hause alles in bester Ordnung. Er liebte seine Frau, seine Tochter. Geldprobleme gab es keine.
Aber irgendein Problem hatte er gehabt.
Lieber Gott, diese Vergeudung .
Und die Grausamkeit des Ganzen: sie alle nicht nur zur Trauer zu verurteilen, sondern auch dazu, im Dunkeln zu tappen, zu rätseln, sich zu fragen, ob irgendjemand Schuld daran hatte.
Sein Leben auszulöschen, wenn doch das Leben so kostbar war...
Als er auf die Bäume starrte, sah Rebus Jack Morton da stehen, so jung, wie er bei ihrer ersten Begegnung gewesen war.
Erdschollen wurden auf den Deckel des Sargs geworfen - ein letzter, vergeblicher Weckruf. Der Farmer wandte sich ab, entfernte sich langsam, die Hände hinter dem Rücken verschränkt.
»So lang ich lebe«, sagte er, »werde ich es nicht begreifen.«
»Seien Sie froh«, sagte Rebus.
3
Er stand auf den Salisbury Crags. Es wehte ein tückischer Wind, und er schlug den Mantelkragen hoch. Er war nach Haus gefahren, um seine Begräbniskleidung auszuziehen, und hätte jetzt eigentlich wieder auf die Wache gemusst -er konnte St. Leonard's von da oben aus sehen -, aber irgendetwas hatte ihn zu diesem Abstecher veranlasst.
Hinter und über ihm hatten ein paar Unerschrockene den Gipfel von Arthur's Peak erklommen. Ihr Lohn: eine herrliche Aussicht, dazu Ohren, die ihnen noch stundenlang schmerzen würden. Bei seiner Höhenangst hütete sich Rebus davor, zu nah an den Abgrund zu treten. Die Landschaft war unglaublich. Es sah so aus, als habe Gott mit der flachen Hand auf Holyrood Park geschlagen und einen Teil davon platt gemacht, dabei aber diese nackte Felswand stehen lassen, als Erinnerung an den Ursprung der Stadt.
Hier war Jim Margolies gesprungen. Oder von einer plötzlichen Bö erfasst worden: Das war die weniger plausible, aber leichter zu ertragende Alternative. Seine Witwe war überzeugt gewesen, er sei »spazieren gegangen, bloß spazieren gegangen«, und habe im Dunkeln einen Fehltritt gemacht. Aber das warf mehrere nicht zu beantwortende Fragen auf. Was hätte ihn dazu veranlasst, mitten in der Nacht aufzustehen? Wenn er Sorgen gehabt hatte, warum hatte er unbedingt auf den Salisbury Crags darüber nachgrübeln müssen - mehrere Kilometer von zu Hause entfernt? Er wohnte im Grange, im ehemaligen Haus seiner Schwiegereltern. Es hatte in dieser Nacht geregnet, trotzdem ließ er das Auto stehen. Würde ein Verzweifelter nicht merken, dass er bis auf die Haut durchnässt wurde?
Als er den Blick nach unten richtete, sah Rebus das Gelände der alten Brauerei, auf dem das neue schottische Parlament entstehen sollte. Das erste seit dreihundert Jahren, und direkt neben einem Themenpark... Nicht weit davon entfernt erhob sich die Greenfield-Siedlung, ein kompaktes Labyrinth aus Hochhäusern und Wohnanlagen für Behinderte und Senioren. Er fragte sich, warum die Crags wohl um so viel beeindruckender wirkten als von Menschen geschaffene Hochhäuser, dann zog er ein zusammengefaltetes Blatt Papier aus der Tasche. Er überprüfte eine Adresse, sah dann wieder hinunter nach Greenfield und wusste, dass er noch einen weiteren Umweg machen musste.
Die Wohntürme von Greenfield waren Mitte der Sechziger gebaut worden
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