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Inspector-Wexford 22 - Der vergessene Tote

Inspector-Wexford 22 - Der vergessene Tote

Titel: Inspector-Wexford 22 - Der vergessene Tote Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Rendell
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nach dem Zwiebelsystem in Strickjacken, Schals und Schultertücher eingewickelt. Audrey Hunter hatte die Augen geschlossen. Sie schien zu schlafen. Nur die Hand in ihrem Schoß bewegte sich zitternd und malte Achten auf die Decke über ihren Knien. Ihr Mann hatte wässrige himmelblaue Augen mit einem unschuldig-arglosen, begriffsstutzigen Blick.
    »Er ist sechsundneunzig und sie dreiundneunzig«, konstatierte die Pflegerin. »Sie brauchen kein solches Gesicht zu machen. Die zwei sind taub, sie können Sie nicht hören.« Dann brüllte sie Mr. Hunter ins Ohr: »Ein Polizist ist gekommen. Er will Sie was über Old Grimble’s Field fragen.«
    »Was ist los?«, nuschelte der Alte, genau wie Barry es sich gedacht hatte. Erst nachdem man die Frage noch zweimal gebrüllt hatte, meinte er: »Vor elf Jahren? Da war ich erst fünfundachtzig. Da konnte ich mich noch bewegen.«
    Seine Frau kritzelte weiter unsichtbare Figuren in ihren Schoß. Sie schlug die Augen auf, streckte die freie Hand nach der Pflegerin aus und flüsterte: »Was ist passiert?«
    »Nichts, meine Liebe«, sagte die Pflegerin. »Sie brauchen sich keine Gedanken zu machen.« Und fuhr dann mit deutlich herrischerem Ton in Barrys Richtung fort: »Aus denen werden Sie wohl nichts herausbekommen.«
    Hartnäckig versuchte er es noch eine Weile. Leider vergeblich.
    »Was habe ich Ihnen gesagt?«, verkündete die Frau triumphierend, während sie ihn zur Haustür brachte.
    Er stieg in sein Auto. Die Unterhaltung hatte ihn ziemlich mitgenommen. Wexford war bezüglich der Hunters viel zu optimistisch gewesen. Barrys Gedanken kreisten zwangsläufig um die moderne Medizin und die Grundsätze einer gesünderen Lebensweise, die allen ein längeres Leben ermöglichten. Wenn er selbst einmal ins Rentenalter käme, würde es nicht nur Tausende Menschen wie die Hunters geben, sondern Zehntausende und Hunderttausende. Menschen, die am Leben waren, ohne wirklich lebendig zu sein, uralte Menschen, von der Zeit zu Invaliden gestempelt, Menschen, die im Laufe der Jahre ihre Erinnerung, ihr Gehör, ihren Sehsinn und fast jegliche Beweglichkeit eingebüßt hatten und doch immer noch lebten. Vielleicht würde eines Tages auch er dazugehören. Sicher hatte sich die Bemerkung der Pflegerin, er brauche nicht so dreinzuschauen, auf seine Miene bezogen, in der sich Mitleid mit Entsetzen gepaart hatte.
    Zum Mittagessen gingen Hannah und Lyn in die Kantine, wo sich Lyn dazu zwang, den Frühlingssalat zu nehmen, und dabei versuchte, Hannahs Käse-Speck-Pfannkuchen mit Bratkartoffeln zu ignorieren. Hannah hatte auf der anderen Seite PS Peach entdeckt, einen Streifenbeamten, der allein an einem Tisch saß. Peach hatte an Hannah »Gefallen gefunden«, wie er es nannte. Damit meinte er, er habe sich in sie verliebt, was er auch tatsächlich getan hatte, auch wenn er nicht einmal im Traum daran gedacht hätte, dies laut zu sagen. So etwas hätte in seinen Ohren viel zu ernst und emotional geklungen. Vor einigen Monaten hatte er sich ihr auf eine Art erklärt, wie es heutzutage nur noch wenige Männer tun, und hatte gemeint, sie gefalle ihm, und er würde gerne im Hinblick auf eine künftige ernsthafte Verbindung mit ihr ausgehen. In Hannahs Augen war er mit Sicherheit der einzige Beamte im ganzen Polizeirevier von Kingsmarkham, der keine Ahnung von ihr und Bal Bhattacharya gehabt hatte. Als sie es ihm sagte, reagierte er sichtlich betroffen. Seither war er ihr zwar nicht direkt aus dem Weg gegangen, hatte aber Distanz gewahrt. Trotzdem meinte Hannah zu Lyn: »Ich will nicht, dass er mich bemerkt.«
    Beide Frauen waren überrascht, als sie sahen, wie Peach aufstand und mit dem Teller in der einen Hand und einem Glas Cola in der anderen auf sie zusteuerte. Mit jedem Schritt lief er weiter rot an. Trotzdem brachte er noch einigermaßen kühl die Frage heraus, ob er sich zu ihnen setzen dürfe. Eine solche Bitte konnten nur äußerst gefühllose Zeitgenossen ablehnen, und so sagte Hannah: »Natürlich.« Und Lyn meinte: »Gerne, Peachy. Setz dich.«
    Peachy hatte mit Sicherheit mindestens einen Vornamen, aber den kannte keiner. Alle riefen ihn immer nur Peachy, sogar Wexford. Für einen Mann mit rosa Pausbacken und blonden Haaren war dieser Name nicht unpassend.
    »Ich möchte ja nicht stören«, sagte er und brach ab, um beiden Frauen Gelegenheit zum Widersprechen zu geben, »aber ich bin nicht herübergekommen, weil ich Gesellschaft haben wollte oder so.« Nach einem kurzen Blick auf Hannah senkte

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