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Inspector-Wexford 22 - Der vergessene Tote

Inspector-Wexford 22 - Der vergessene Tote

Titel: Inspector-Wexford 22 - Der vergessene Tote Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Rendell
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Küche keine Küchenrolle finden konnte, brachte er ihr stattdessen ein von ihrer Putzfrau frisch gewaschenes Geschirrtuch, in das sie ihr Gesicht vergrub. Kaum eine Minute später richtete sie sich mit trocken getupftem Gesicht auf und setzte sie sich gerader hin als während des ganzen Gesprächs. Ihre Haltung erinnerte ihn daran, dass sie letztlich doch zur »alten Schule« gehörte, wie es Leute aus ihrer Schicht zu nennen pflegten. Noch immer sagte sie keinen Ton.
    Er lieferte ihr das Stichwort: »Weil Sie was waren, Mrs. McNeil?« Dann kam ihm ein Gedanke, und er riet einfach drauflos: »Weil Sie Angst hatten?«
    »Ja!«
    »Wovor hatten Sie denn Angst? Mrs. McNeil, Ihnen wird nichts passieren, wenn Sie mir die Wahrheit sagen.«
    War er sich da wirklich sicher?
    Sie rückte mit der ganzen Geschichte heraus. Kaum hatte sie angefangen, schien sie nichts mehr bremsen zu können. Die Schleusen hatten sich geöffnet, ganze Wortkaskaden schossen heraus. Doch nicht einmal jetzt wagte es Burden, der wieder ins Zimmer gekommen war, sich Notizen zu machen. Er hatte ein wenig abseits von Wexford und ihr Platz genommen. Eines konnte er klar erkennen: Sie hatte Wexford zu einem mitfühlenden Freund erklärt, egal was sie von ihm, Burden, halten mochte.
    »Dieser Mann«, begann sie, »ich weiß nicht, woran er gestorben ist. Vielleicht hatte er es am Herzen. Ronald, mein Mann, war ins Haus gegangen … Ach, das war im September acht Jahre her. Er ist hinein, weil er sah, wie sich etwas bewegt hat; durchs Vorderfenster konnte er das sehen. Dieses Fenster hatte man nie verrammelt. Ich weiß nicht, warum. Wir haben es beide gesehen. Da hat sich eine Gestalt bewegt. Ich erinnere mich noch daran, als wäre es gestern gewesen. Es war ein Mann in einem roten Mantel – also, in einem orangen Mantel. Ein großer Mann. Unter dem Türstock musste er den Kopf einziehen. Ronald hat gemeint, er würde mal nachschauen gehen, was da los sei. Er dachte an Kinder. Manchmal haben wir Kinder ins Haus gehen sehen, aber dieser Mann war zu groß, um ein Kind zu sein. Roland wollte mich nicht mitgehen lassen. Er blieb lange weg. Es war schon spät am Nachmittag – also, eigentlich schon abends, aber immer noch ziemlich hell. Als er wiederkam, war es schon Abend.« Inzwischen kamen ihr nur noch vereinzelt Tränen, bis sie schließlich ganz versiegten. Als sie weiter sprach, weinte sie zwar nicht mehr, dafür brach ihr jetzt auf dem Gesicht und am Hals der Schweiß aus.
    »Er kam ins Haus und war so bleich, dass ich dachte, er sei krank. Also, krank ist er ja wirklich gewesen. ›Was ist los? Was ist passiert?‹, rief ich ihm zu, und er hat gesagt … mit einer mir ganz fremden Stimme hat er gesagt: ›Reeny, dort drinnen ist ein Mann, und der ist tot. Kannst du bitte kommen?‹ Ich bin mit ihm über die Straße gegangen. Man konnte noch sehen, es war noch hell genug. In dem Haus gab es keinen Strom mehr. Wir sind zur Hintertür hinein.«
    Sie sah Wexford ins Gesicht. »Damals wog ich noch nicht so viel wie jetzt. Ich konnte mich schneller bewegen und hatte ziemlich Kraft. Musste ich ja auch haben.«
    Sie griff nach dem Glas, aber den Inhalt hatte sie größtenteils über Wexford gekippt. Burden schenkte ihr nach, und sie trank. »Wir sind ins Bad gegangen. Dort war er , der Mann. Er lag auf dem Boden, und da war … eine Blutlache.«
    An dieser Stelle musste Wexford sie unterbrechen, wobei er sich bemühte, seiner Stimme jeden strengen Unterton zu nehmen. »Mrs. McNeil, bedenken Sie genau, was Sie sagen. Sie haben uns erzählt, Sie hätten geglaubt, der Mann sei möglicherweise an einem Herzanfall gestorben.«
    »Nein, ist er nicht. Das hätte ich nicht sagen sollen. Ronald … Ach, es war so schrecklich, er hatte eine Schusswaffe. Er hatte einen Waffenschein, es hatte alles seine Ordnung. Als er ins Haus ging, hat er sein Gewehr mitgenommen.«
    Wexford ließ sie nicht weiterreden. Seine Stimme war tiefernst geworden.
    »Wollen Sie damit sagen, dass Ihr Ehemann diesen Mann erschossen hat? Das ist eine schwerwiegende Anschuldigung, Mrs. McNeil.«
    »›Hast du ihn erschossen?‹, habe ich ihn gefragt, und Ronald hat gesagt: ›Er ist mit dem Messer auf mich losgegangen. Ich bin zurückgewichen, aber er ist hinter mir her, da musste ich mich verteidigen.‹«
    »Na schön. Was ist dann passiert?«
    »Mein Mann hat gemeint, wir müssten ihn fortschaffen. Hier könnten wir ihn nicht liegen lassen. Verstehen Sie, Ronald hatte ihn erschossen. Niemand

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