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Inspektor Jury küsst die Muse

Inspektor Jury küsst die Muse

Titel: Inspektor Jury küsst die Muse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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zu.
    «Der kleine Farraday ist übrigens verschwunden.»
    Sie zuckte die Achseln. «Überrascht mich nicht. Er haut dauernd ab. Wahrscheinlich, weil er seine Familie unausstehlich findet. Kann man ihm auch nicht verübeln. Seiner Schwester Penny geht’s genauso. Oh, er wird schon wiederauftauchen, da können Sie ganz beruhigt sein.»
    «Und Sie können sich auch nicht vorstellen, daß einer Ihrer Reisegefährten oder vielleicht jemand aus Stratford Miss Bracegirdle lieber tot als lebendig gesehen hätte?»
    «Du lieber Himmel, nein. Dazu sah sie mir einfach zu harmlos aus. Natürlich weiß ich nicht, auf was sie sich in Stratford eingelassen hat. Ich habe sie zwei, drei Tage lang nicht gesehen. Das gefällt mir übrigens an dieser Art zu reisen: Wir können tun und lassen, was wir wollen, keiner redet einem drein.» Wieder blinzelte sie Melrose zu.
    Der erhob sich hastig und griff nach seinem Zigarettenetui und seinem Spazierstock. Lady Dew und Mord schienen irgendwie nicht zusammenzupassen. Er hatte jetzt das dringende Bedürfnis, ein wenig mit Jack the Ripper zu plaudern. «Vielen Dank, daß Sie mir Ihre Zeit geopfert haben, Lady Dew.»
    «Nennen Sie mich doch Vi – oh, heiliger Strohsack, da kommt sie, die Dame, die einem heimleuchtet.»
    Cyclamen, anscheinend frei von Kopfschmerzen, durchquerte mit entschlossener Miene den Raum. «Ding – ding, Tante Violet», flötete sie.
    «Bring mir einen Gin.»
    Mit einem liebenswürdigen Lebewohl trat Melrose den Rückzug an.

13
    Jury spürte George Cholmondeley im Speisesaal des «Welcombe Hotels» auf; sein Ecktisch war in grelles Licht getaucht, das durch das hohe Fenster hinter ihm hereinströmte und alles gleichsam mit einem leuchtenden Flor überzog.
    «Mr. Cholmondeley?»
    Der gutaussehende Mann schaute auf.
    «Superintendent Jury, Scotland Yard, Mordkommission. Könnte ich Sie kurz sprechen?»
    Cholmondeley lächelte ein wenig frostig und wies auf den Stuhl ihm gegenüber. «Wenn ich nein sage, machen Sie dann wieder kehrt und gehen?»
    Jury gab das Lächeln aufrichtig und unbefangen zurück. «Aber Sie sagen nicht nein, oder? Detective Sergeant Lasko hat bereits mit Ihnen gesprochen?»
    Cholmondeley nickte. «Möchten Sie etwas? Kaffee? Tee?» fragte er höflich. Er trug einen italienischen Seidenanzug in einem wäßrigen Graubraun, das zu seiner Augenfarbe paßte. Cholmondeley war ein überaus attraktiver Mann. Die blonden Haare, die helle Haut, die schlanken, sensiblen Finger, die gerade dabei waren, eine Forelle zu entgräten, diese Lässigkeit, die etwas vage Dekadentes an sich hatte – all das mußte bei Frauen gut ankommen. Neben ihm stand in einem Eiskübel eine Flasche Château Haut-Brion.
    Der Mann war eindeutig kein mittlerer Angestellter, der ein ganzes Jahr lang für seine zwei Wochen Sommerurlaub sparen mußte.
    Jury lehnte Kaffee, Tee und Wein ab, während Cholmondeley die Flasche hob, um sein eigenes Glas wieder zu füllen. «Wie gut haben Sie Gwendolyn Bracegirdle gekannt, Mr. Cholmondeley?»
    «Eigentlich gar nicht. Obwohl ich natürlich betroffen war, als ich hörte, was geschehen ist.» Sein Appetit schien allerdings nicht darunter gelitten zu haben. Er aß seinen Fisch mit sichtlichem Genuß.
    «Und wie verstand sie sich mit den übrigen Reiseteilnehmern?»
    Cholmondeley sah ein bißchen ratlos drein. «Oh, das kann ich Ihnen nicht sagen. Sie war häufig mit dieser Dew zusammen, ich meine mit der Jüngeren.» Er brach sich ein Stück Brot ab und bestrich es mit Butter. «Warum wollen Sie das wissen?»
    Jury zuckte die Achseln. Er wollte Cholmondeley nicht noch mißtrauischer machen, als er es vielleicht schon war. «Mit irgend etwas muß man ja anfangen.»
    Cholmondeley runzelte die Stirn. «Warum fangen Sie nicht mit den kriminellen Elementen in Stratford an? Mit der Liste der meistgesuchten Verbrecher? Wieso mit Honeysuckle Tours? Und wieso, wenn ich fragen darf, Scotland Yard? Ich nehme doch an, Warwickshire hat selbst eine tüchtige Polizei?»
    «Ja, eine sehr tüchtige. Allerdings gibt es in Stratford so gut wie keine kriminellen Elemente. Natürlich überprüfen wir alles mögliche, aber ich neige dazu, Mörder in der Nähe ihrer Opfer zu suchen.»
    «Vielleicht, aber keiner von uns ist ihr nähergekommen, oder?» Cholmondeley hatte seinen Fisch aufgegessen und zog ein Zigarettenetui hervor. «Ich meine, es überrascht mich doch etwas, daß Sie annehmen – und offensichtlich tun Sie das –, einer von uns wäre in diese Sache

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