Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Inspektor Jury lichtet den Nebel

Inspektor Jury lichtet den Nebel

Titel: Inspektor Jury lichtet den Nebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
Vom Netzwerk:
ausgestreckt hatte und vor dem glühenden Heizstab lag. Daß sie quer über den Füßen von Scotland Yard ruhte, schien sie überhaupt nicht zu stören.
    «Wiggins», sagte Macalvie, «wollen Sie hier Wurzeln schlagen, oder kommen Sie mit?»
    «Finden Sie wirklich, daß wir zu dritt bei Molly Singer einrücken sollen?» fragte Jury.
    «Ja, warum denn nicht?»
    «Und die Tür eintreten? Ist es das, was Sie vorhaben?» Jury zog sich den Mantel an. Macalvie hatte seinen erst gar nicht abgelegt. «Versuchen Sie es bei jemanden, der unter Agoraphobie leidet, mal mit der Einschüchterungsstrategie. Sie werden schon sehen, wie weit Sie damit kommen, Macalvie. Nein danke, ich gehe allein. Wir sind hier in Dorset, vergessen Sie das nicht. Nicht Ihr Revier; momentan ist es meins.»
    Macalvie lutschte immer noch an seinem Fisherman’s Friend. «Sie lassen den Chef raushängen? Na schön. Was dagegen, wenn ich mir auf eigene Faust die Thornes vorknöpfe? Den Papi und die Mami? Und da Sie als Einzelkämpfer losziehen wollen, hätten Sie was dagegen, mir Ihren Sergeanten auszuleihen?»
    Er wartete gar nicht erst auf die Erlaubnis. Die Tür der Polizeiwache knallte hinter Macalvie und Wiggins zu.

8
    U NTER EINER EXZENTRISCHEN F RAU stellte sich Jury so etwas wie Hazel Wing vor. Molly fiel trotz ihrer Kleider aus dem Secondhandladen nicht in diese Kategorie. Sie trug einen formlosen Pullover und einen langen, ebenso formlosen Rock. Jury schätzte sie auf ungefähr Mitte Dreißig. Er hatte mit einer weitaus älteren Frau gerechnet.
    Gemütlich war in diesem Zimmer nur das Kaminfeuer und eine dösende Katze. Es war ein typisches Ferienhaus, die Möbel zusammengewürfelt wie Strandgut von einem gesunkenen Schiff: Korbstühle, die nicht zusammenpaßten, ein Schränkchen, in dem ein paar Flaschen mit Spirituosen standen, ein durchgesessenes Sofa, das die Katze mit Beschlag belegt hatte. Vor dem Fenster ein Allzwecktisch. Nichts als das Allernötigste.
    Sie schien zu ahnen, was er dachte. «Im Sommer kostet das Haus ein Vermögen. Es liegt direkt an der Promenade, hat Meerblick, und der Besitzer kümmert sich darum, daß regelmäßig geputzt wird.»
    «Kann ich mir vorstellen», sagte Jury.
    «Die Lampe mußte ich selber kaufen –» Sie deutete mit dem Kopf auf eine kleine Lampe mit blauem Schirm, eine Funzel, die ein wäßrig-diffuses Licht abgab, das nicht einmal zum Lesen taugte. «Hoffentlich stört es Sie nicht, daß es bei mir so dunkel ist. Ich habe mich inzwischen daran gewöhnt.»
    Jury sah ein paar Lyrikbände auf dem Tisch liegen und überlegte, ob ihre Bemerkung doppeldeutig war. Emily Dickinson. Robert Lowell.
    «Mögen Sie Gedichte? ‹Das Licht an dem Ende des Tunnels / Ist das Licht eines nahenden Zugs›. Diese Zeilen von Lowell haben mir immer besonders gut gefallen.» Sie redete aus purer Nervosität. «Man könnte sagen, die Katze habe ich mitgemietet. Sie spaziert jeden Tag hier herein und belegt den besten Platz.» Die Katze lag so regungslos da, daß man sie mit einem schwarzen Kissen hätte verwechseln können. Sie klappte ihre Topasaugen auf, musterte Jury argwöhnisch und döste dann wieder ein. Molly Singers schwarze Haare und ihre topasfarbenen Augen glichen denen der Katze.
    Sie standen immer noch. Molly Singer spielte mit der Karte, die Jury unter der Tür durchgeschoben hatte. «Sie haben ganz schön was riskiert mit Ihrer Botschaft, oder? ‹Welche neue Hölle mag das sein?›» Sie lächelte verkrampft. «Wer hat das gesagt?»
    «Dorothy Parker. Immer, wenn es an ihrer Wohnungstür klingelte.»
    «Nehmen Sie bitte Platz.»
    Die Katze blickte Jury böse an, als Molly Singer sie hochhob und in einem der kalten Korbstühle absetzte.
    Sie bot Jury zu trinken an, und als er annahm, holte sie aus dem Schränkchen neben dem Sofa ein zweites Glas und eine zu drei Vierteln geleerte Flasche Whisky. Sie reichte ihm das Glas und schenkte sich selber nach.
    Jury fühlte sich unbehaglich in diesem Raum, der schon so viele Gäste beherbergt hatte und voller Geister zu sein schien. Ein Holzscheit zerfiel, und die Funken sprühten, als rühre einer dieser Geister in der Asche.
    «Es ist wegen des Capes, ja?»
    Jury hatte nicht mit der Tür ins Haus fallen und gleich von Angela Thorne anfangen wollen. Er nickte. «Constable Green hat es erkannt.»
    «Dann sitze ich wohl ganz schön in der Tinte, was?»
    «Sie müssen doch gewußt haben, daß man durch das Cape auf Sie kommen würde. Warum haben Sie das

Weitere Kostenlose Bücher