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Inspektor Jury lichtet den Nebel

Inspektor Jury lichtet den Nebel

Titel: Inspektor Jury lichtet den Nebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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und Schinken beinahe übel wurde, hatte nur Kaffee und Toast bestellt. «Aber wer hätte ein einleuchtenderes Motiv?»
    «Es war jemand anders», sagte Macalvie im Brustton der Überzeugung.
    «Aber, Sir –» setzte Wiggins an, verstummte aber sofort, als er sah, wie Macalvie ihn anschaute.
    «Sie beide haben etwas Entscheidendes vergessen. Es war nicht Sam Waterhouse, der das Kind gefunden und mit seinem Cape zugedeckt hat. Natürlich tobte Thorne und wollte Waterhouse an den Kragen, um sich zu rächen. Der Kerl sah aus, als wäre er gerade von den Toten auferstanden. Geschieht ihm recht, dem Bastard.» Macalvie machte sich über seinen Schinken her, wobei er der Kellnerin mit ihrem Fin-de-siècle-Look – schwarzes, hochgestecktes Haar, schlanke Figur, weiße Rüschenbluse, schwarzer Rock und Porzellanteint – nicht den ersten anerkennenden Blick zuwarf. «Gestern hat Angela ‹Theater gemacht› – sagt ihre Mutter –, wollte nicht zur Schule, hat Magenschmerzen vorgetäuscht und war einfach unausstehlich. Ihre Lehrerin hat ausgesagt, sie habe sich geprügelt, weil die anderen Kinder sich über sie lustig gemacht haben. Sie haben sogar ein Lied auf sie gemacht: ‹Angela Thorne, Angela Thorne, ach war es nicht schön, du wärst niemals geborn!› Kinder sind wirklich reizend, was?»
    «Es war nach ein Uhr, als Sie mit den Thornes gesprochen haben. Wann um alles in der Welt haben Sie sich denn dann noch die Lehrerin vorgeknöpft?» Macalvie gehörte offenbar zu der Sorte Polizist, die überhaupt keinen Schlaf brauchte.
    «Hinterher. Ich kann Ihnen sagen, die Thornes sind ein harter Brocken. Bei der Lehrerin bin ich gegen drei Uhr gelandet –» Macalvies blaue Augen glitzerten –, «Sie wissen schon, was ich damit sagen will … Jedenfalls fand es Miss Elgin – Julie – nicht gerade erbaulich, daß die Polizei von Devon und Cornwall ihr die Bude einrannte, und sie nur im leichten Morgenmantel –»
    «So wie Sie das erzählen, scheint es ja eine Massenvergewaltigung gewesen zu sein. Vielleicht liest uns jetzt Wiggins einfach mal seine Notizen vor.»
    Wiggins ließ zwar nur ungern von seinem gekochten Ei ab, aber er legte brav den Löffel hin und zückte sein Notizbuch.
    «Verdammt noch mal, stecken Sie das weg», sagte Macalvie. «Ich weiß sehr wohl, wer was gesagt hat. Die Kinder haben sich also diesen albernen Vers ausgedacht, das ist doch in dem Alter völlig normal. Wahrscheinlich, weil diese läppische Serie ‹The Thornbirds› jeden Abend die Leute vor der Glotze zum Einschlafen gelangweilt hat. Julie –»
    Jury dachte, daß Macalvie sich offenbar recht schnell zum Du entschloß.
    «– also, Julie hat gesagt, daß Angela sich mächtig über diesen Reim geärgert hat. Keins von den Kindern mochte Angela Thorne leiden. Wieso?» Macalvie beantwortete seine eigene Frage. «Weil sie mürrisch, launisch und potthäßlich war, weil sie eine dicke Brille trug und dabei aber so gut in der Schule war, daß selbst ihren Lehrern die Lust verging. Julie zufolge wünschte die Direktorin nichts sehnlicher, als daß Angela ihre mittlere Reife machte, und dann nichts wie weg mit ihr. Wirklich eine komische Geschichte.» Bei diesen Worten schwelgte Macalvie sichtlich in seinen übrigen Erinnerungen an diese letzte Nacht.
    «Nicht besonders komisch für Angela. War diese Julie Elgin nicht ein bißchen betroffen darüber, daß Angela ermordet wurde?»
    «Klar. Hatte das Herz in der Hose vor Angst, genau wie alle anderen auch. Die Nachricht hatte sich natürlich im Nu verbreitet. Um Mitternacht riefen schon Eltern bei Julie an, um ihre Kinder für den nächsten Schultag zu entschuldigen. Der zentrale Punkt ist jedenfalls, daß niemand Angela mochte, nicht mal ihre eigenen Eltern.»
    Jury setzte seine Kaffeetasse ab. «Hat das ihre Lehrerin gesagt?»
    «Nein. Und das brauchte sie auch nicht, oder?» Wieder beantwortete er seine rhetorische Frage selber. «Die Augen von Angelas Mutter waren rotgerändert, aber wohl eher vom Schnaps als von Tränen. George sorgte sich mehr um seine weiße Weste als um den Tod seiner Tochter, obwohl er das natürlich zu vertuschen versuchte – aber es war eindeutig zu durchschauen, er fühlte rein gar nichts –, und die ältere Schwester, die Familienschönheit, wollte mir weismachen, sie stünde unter Schock, was allerdings klang, als müßte sie diesen Schock mir zuliebe erst anschalten, könne aber die Elektroden nicht richtig anbringen. Mit anderen Worten, alle spielten Theater. Ich

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