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Inspektor Jury lichtet den Nebel

Inspektor Jury lichtet den Nebel

Titel: Inspektor Jury lichtet den Nebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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gemacht?»
    «Sie meinen, sie umgebracht?» Ihr Gleichmut war provokanter, als lautstarker Protest es gewesen wäre.
    «Ich habe nicht behauptet, daß Sie Angela Thorne umgebracht haben. Kein Mörder wäre so dumm, ein solches Beweisstück zurückzulassen. Aber jetzt erzählen Sie mal der Reihe nach, was eigentlich passiert ist.»
    «Ich bin so gegen zehn, halb elf am Cobb spazierengegangen. Da habe ich einen Hund bellen hören. Es hörte sich schrecklich an, fürchterlich aufgeregt. Ich bin dem Gebell bis zu den Felsen gefolgt, und da habe ich sie gefunden. Den Hund konnte ich heil zurückbringen, Angela nicht», sagte sie mit einem Anflug von Bitterkeit.
    «Haben Sie sie gekannt?»
    Molly schüttelte den Kopf. «Ich habe sie, glaube ich, ein-, zweimal gesehen. Eigentlich kenne ich niemanden hier.»
    «Wie leben Sie denn?»
    Ihr Lächeln wirkte genauso unglücklich wie ihr Lachen. «Mit verriegelter Tür, Superintendent.»
    «Sie wohnen hier seit fast einem Jahr. Warum? Gefällt Ihnen das Meer so?»
    «Nein. Bei Sturm kommen die Brecher über die Strandmauer, manchmal sogar bis an die Ferienhäuser. Sie werfen Tang, Steine, alles mögliche an Land. Das sind Elementargewalten.»
    «Dann haben Sie also die Leiche gefunden, sie mit Ihrem Cape zugedeckt und den Hund zum Cottage der Thornes gebracht. Ist das alles?»
    «Ja.»
    «Aber Sie haben sich, als Sie die Polizei anriefen, nicht zu erkennen gegeben. Warum?»
    «Ich wollte wohl nicht hineingezogen werden.»
    «Warum haben Sie dann Ihr Cape dagelassen? Sie müssen doch unheimlich gefroren haben.»
    «Ich habe noch eins», sagte sie schlicht, als sei dadurch alles erklärt.
    «Wo haben Sie früher gewohnt?»
    «London, mal hier, mal da. Keine feste Adresse. Keinen Job. Hatte aber etwas Geld zurückgelegt. Früher war ich Fotografin. Mein Arzt hat mir geraten, mir eine nette, kleine Stadt am Meer zu suchen. Ich habe Fotos von Lyme gemacht.»
    Jury betrachtete die beiden schönen Fotos über dem Kamin: die Küste bei Lyme und die Strandpromenade mit ihren einsamen Spaziergängern.
    Sie stand auf und ging zu den Fotos. «Nicht ansehen, bitte! Ich bin nicht mehr gut. Dieses Meer, dieses Meer – das sind Elementargewalten.» Ihr Glas war leer, sie ging zum Schrank und schenkte sich noch einen Doppelten ein. «Ich trinke zu viel, wie Sie sicher bemerkt haben», sagte sie achselzuckend und ging wieder zum Kamin zurück. Ihr Gesicht glühte im Feuerschein, ihre eigenartig dunkelgoldenen Augen funkelten.
    Sie hatte geradezu etwas Dämonisches und kam Jury vor wie eine jener mythologischen Frauengestalten, vor denen man den unseligen Fremdling – ob Rittersmann oder Bauerntölpel – immer wieder, doch stets vergeblich gewarnt hatte.
    «Haben Sie die Zeitung gelesen?» fragte Jury. Sie schüttelte den Kopf. «Wo waren Sie heute abend?»
    «Hier. Ich bin immer hier. Warum?»
    «Weil in Wynchcoombe ein Junge ermordet wurde. Und vor zwei Tagen einer in Dorchester. Das mit Dorchester haben Sie nicht gewußt, oder?»
    Mit glasigem Blick sagte sie: «Mein Gott, nein! Sie meinen, ein Massenmörder läuft hier in der Gegend frei herum?»
    «Könnte sein. Also hören Sie, Sie müssen sich mit der Polizei unterhalten. Und da Sie nicht auf die Wache wollen, kommen Sie doch morgen früh in den ‹Weißen Löwen›.» Er verstummte, sah sie an und legte sich alle möglichen billigen Ermunterungen zurecht. Wird schon nicht so schlimm werden; Macalvie ist ein netter Kerl; es sind ja nur wir drei. Alles erstunken und erlogen. Es würde mit Sicherheit schlimm werden. Macalvie war kein netter Kerl. Und für Molly Singer war es egal, ob sie sich mit nur drei Beamten oder dem gesamten Polizeiaufgebot von Dorset und Devon/Cornwall auseinandersetzen mußte.
    Es herrschte Schweigen.
    «Um neun?» war alles, was sie sagte.
    «Gut.»
    Jury griff nach seinem Mantel, wobei er die Katze erneut aus dem Schlaf reißen mußte, und Molly brachte ihn zur Tür.
    Sie hielt immer noch seine Karte in der Hand, hatte sie zweimal gefaltet, als handele es sich um eine Flaschenpost, die ihr Kunde vom Festland gab.

9
    «G EORGE T HORNE .» Macalvie saß im Speisesaal des «Weißen Löwen» und spießte kopfschüttelnd ein Würstchen auf. «Er und kein anderer. Zeuge der Staatsanwaltschaft.»
    «Dann steht es nicht gut für Sam Waterhouse, wie?»
    «Er war’s nicht, Wiggins. Reichen Sie mir doch mal bitte die Butter.»
    Sowohl Wiggins als auch Macalvie langten mächtig zu. Jury, dem schon beim Anblick von Würstchen

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