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Inspektor Jury lichtet den Nebel

Inspektor Jury lichtet den Nebel

Titel: Inspektor Jury lichtet den Nebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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nehmen.»
    «Danke», sagte er.
    «Viel Glück», sagte sie wenig überzeugend. Glück war eben reine Glückssache.
     
     
    D AS KLEINE M ÄDCHEN lag unter dem Cape, als hätte man es wie einen kleinen Sack in eine Felsspalte gestopft.
    «Halten Sie die Taschenlampe bitte dorthin.» Jury ging in die Knie und zupfte ihr den Tang von der eisigen Wange. Natürlich hätte er sie nicht anfassen dürfen, ehe der Arzt oder die Spurensicherung da waren, aber er konnte nicht anders, er mußte das Zeugs entfernen. Blasentang. Den kannte er von einem anderen Städtchen am Meer, aber damals war er noch ein Kind gewesen. Es war das Zeug, das zerplatzte, wenn man es zusammendrückte. Eine Welle klatschte an die Felsen, und Gischt sprühte ihnen ins Gesicht. Auf den nassen Felsen konnte man schnell den Halt verlieren.
    «Ob sie wohl so weit rausgegangen ist, um den Hund zu holen, und dann von der Flut überrascht wurde …?» fragte Constable Green mit Hoffnung in der Stimme.
    «Nein», sagte Jury. «Es war ein Messer.»
     
     
    A UF DER W ACHE VON L YME R EGIS wartete Chief Superintendent Macalvie seit einer Viertelstunde, und die Minuten waren vertickt wie der Zeitzünder an einer Bombe.
    Während Green von dem anonymen Telefonanruf berichtete und erzählte, wie man die Leiche gefunden hatte, kippelte Macalvie mit dem Stuhl und lutschte ein Drops. «Und wo ist die Leiche jetzt?»
    «Im Krankenhaus», sagte Green. «Wir haben unseren Arzt hier –»
    «Hat er sie gesehen, bevor man sie weggebracht hat?»
    «Ja», sagte Green einsilbig.
    «Und diese Frau, diese Molly Singer –» Macalvie erwartete, daß er hier mit weiteren Erklärungen einhaken würde, aber Green sagte nichts, und so redete er weiter. «Wenn ich Sie richtig verstanden habe, haben Sie herausgefunden, daß das Cape der Singer gehört. Sie haben den Verdacht, daß sie den Köter zum Cottage der Thornes gebracht hat, und vermuten, daß sie die Anruferin war. Und trotzdem haben Sie sie nicht herbestellt, damit wir sie befragen können.»
    «Wir sind zu ihrem Cottage gegangen, Sir.» Green blickte von Jury zu Macalvie, offensichtlich unsicher darüber, wer hier das Sagen hatte: Dorset, Devon oder etwa Scotland Yard? «Sie kennen Molly Singer nicht, Sir –»
    «Na Kunststück, Green. Sie ist ja nicht hier, oder?» Macalvie sagte zu Wiggins, den man gegen zwei Uhr früh unter seinem Federbett hervorgezerrt hatte: «Geben Sie mir mal einen von Ihren Fisherman-Dingern.»
    Wiggins gehorchte. Da er sich auf keinen Fall den Tod holen wollte, hatte er sich einen Stuhl an den Heizstab gezogen und die Füße neben der großen tigerfarbenen Katze abgestellt, die sich dort genüßlich zusammengerollt hatte.
    Macalvie sagte: «Denn wenn sie daheim gewesen wäre, hätten wir drei nett miteinander plaudern und herausbekommen können, was sie verdammt noch mal heute abend am Ende des Cobb zu suchen hatte.»
    Constable Green verzog keine Miene. «Die Singer wohnt seit ungefähr einem Jahr in dem Cottage an der Strandpromenade. Niemand in Lyme kennt sie richtig. Sie macht nie mal ein Pläuschchen mit den Nachbarn. Sie ist nicht freundlich. Sie geht nicht aus, ich sehe sie nur manchmal abends, wenn ich Streife gehe. Man könnte sie als exzentrisch bezeichnen –»
    Jury unterbrach ihn. «Nach dem, was Sie mir vorhin erzählt haben, hat sie vielleicht eine Phobie. Geht nicht einkaufen, geht nie unter Leute …»
    «Darüber weiß ich nichts.» Green war erleichtert, als er sich an Jury wenden konnte: «Ich habe sie ein paarmal gesehen, wenn ich Streife ging. Ich kenne das Cape. Aber ein Phantombild von ihr könnte ich nicht anfertigen. Man bekommt ihr Gesicht eigentlich nie zu sehen.»
    Macalvies Stuhl knallte zu Boden. «Ich fasse es nicht, Green. Ich kann es einfach nicht fassen – eine Person, die Sie für eine Augenzeugin halten, die sogar die Hauptverdächtige sein könnte –»
    «Das haben Sie gesagt», warf Green alarmiert ein. «Sie will einfach nichts mit der Polizei zu tun haben.»
    Macalvie sah Green an und schüttelte den Kopf. Er beugte sich über den Schreibtisch des Wachtmeisters, und aus seinen blauen Augen sprühten Funken. «Wir reden hier über einen Mord, und alles, was Sie zu sagen haben, ist, daß die Hauptzeugin Kommunikationsprobleme hat.» Macalvie stand auf. «Los», sagte er zu Jury und ging zur Tür. Er warf Wiggins über die Schulter einen Blick zu, denn der war mittlerweile in eine ähnliche Trägheit verfallen wie die orangefarbene Katze, die die Beine

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