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Inspektor Jury schläft außer Haus

Titel: Inspektor Jury schläft außer Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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makellose, glitzernde Weiß war nur noch ein Gewirr von schwarzen Abdrücken und Löchern.
    Einen Augenblick lang, während sie ihn anstarrten, konnte er sich nicht mehr erinnern, was er ihnen eigentlich beibringen wollte. Ach ja, das Rätsel. «Angenommen, hier direkt vor uns liegt eine Leiche.» Das Mädchen versteckte sich hinter ihm und hielt sich an seinem Mantel fest. «Und angenommen die drei Leute, die diese Spuren gemacht haben, sind wieder an dem Ententeich: Wie konnten sie das schaffen, ohne Fußspuren zu hinterlassen, die in diese Richtung gehen?» Es war das altbekannte Reichenbach-Falls-Eröffnungsmanöver, aber er nahm nicht an, daß die beiden «Die Schlußrunde» gelesen hatten. Außerdem hat er sich nicht besonders verständlich ausgedrückt. Jury kratzt sich am Kopf. Warum sollte der Verdächtige überhaupt zum Teich zurückgehen wollen?
    Keiner wußte eine Antwort. Er drehte sich um und ging ein paar Schritte rückwärts. «So!»
    Der Junge grinste übers ganze Gesicht und zeigte dabei eine riesige Zahnlücke. Das Mädchen kicherte, hielt sich aber sofort die Hand in dem Fausthandschuh vor den Mund.
    Jury hob den Finger wie ein Lehrer, der die Aufmerksamkeit seiner Schüler erregen will. «Merkt euch also: Bei einem Mord –» sie schnappten nach Luft bei diesen Worten – «gibt es immer was Komisches, etwas, was nicht stimmt.» Er wünschte nur, dem wäre auch so; es klang zu sehr nach Lehrbuch. «Ich danke euch für eure Hilfe. Gehn wir rein. Da ist das Café.» In der Ecke des oberen Erkerfensters hing ein kleines, weißes Schild, auf dem in hübscher Schreibschrift Frühstück wird jetzt serviert stand. Sie gingen das dunkle Treppenhaus zum ersten Stock hoch, eingehüllt von dem Duft nach Frischgebackenem. Als sie sich aus ihren nassen Jacken und Mänteln geschält hatten, kam eine ältere Frau, die so appetitlich aussah wie die Obsttörtchen in der Auslage, hinter dem Vorhang in den rückwärtigen Teil hervor. Jury bestellte Kaffee, heiße Schokolade und einen Teller mit Toastbrot; dann vervollständigte er das Ganze noch durch Kuchen, Gebäck, Marmelade und Schlagsahne.
    «Also, dann mal los», sagte Jury aufmunternd und rieb sich die zum Kamin hingestreckten Hände, an dem ihnen die Frau freundlicherweise einen Tisch angeboten hatte. Der Junge riß die Augen auf und grinste; sein schneeverklebtes Haar stand noch wilder vom Kopf ab. Das Mädchen senkte den Kopf und starrte auf die glänzende Tischfläche, als würde sie selbstverliebt ihr Spiegelbild betrachten. Jury störte es nicht, daß sie so schweigsam waren. Er hatte nicht erwartet, von ihnen einen Vortrag über die Molekülstruktur des Universums zu hören.
    Endlich kamen auch Kaffee und Kuchen, mit frischer Schlagsahne, Marmelade und Butterbrötchen, genug, um ihre Gesellschaft mehrmals zu verköstigen. Die beiden James mußten nicht lange aufgefordert werden, zuzugreifen. Der Junge hielt in der einen Hand ein Brötchen, in der andern ein Stück Kuchen und biß abwechselnd mal in das eine, mal in das andere. Das Mädchen nahm sich mit ihren flinken kleinen Mausefingern ein Obsttörtchen und knabberte so atemlos daran, als würde sie sofort in ihr Loch zurückhuschen, wenn Jury auch nur einen Pieps von sich gäbe.
    Bevor die ältere Frau sich wieder zurückziehen konnte, holte Jury seinen Ausweis hervor und fragte sie nach Miss Ball, der Besitzerin.
    Der Effekt war dramatisch. Ihre Wangen fingen an zu glühen, und sie hielt erschreckt die Hand vors Gesicht. Die Schuldigen fliehen, dachte Jury und seufzte, auch wenn keiner sie verfolgt, aber die Unschuldigen fliehen auch.
    «Einen Augenblick, Sir», sagte sie und ging rückwärts zur Tür.
    Die Kinder hatten den Kuchenteller beinahe leer gegessen, und Jury dachte, daß ihnen wahrscheinlich schlecht werden würde, aber schließlich war Weihnachten, und sie sahen nicht so aus, als würden sie mit Süßigkeiten verwöhnt. Er war gerade dabei, sich noch etwas Kaffee nachzugießen, als eine Frau in einer Schürze hereinkam; Miss Ball, wie er annahm. Eigentlich kam sie gar nicht herein; es sah vielmehr so aus, als hätte sie alles niedergewalzt – Hunde, Katzen –, um sich einen Weg zu ihm zu bahnen, dem längst überfälligen Besucher.
    « Sie sind also Oberinspektor Jury vom New Scotland Yard?»
    Er erhob sich und streckte seine Hand aus. «Ja, der bin ich – Miss Ball?»
    Miss Ball nickte, als wäre sie entzückt, Miss Ball zu sein. Sie nahm Platz. «Ich war unten in der Backstube bei

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