Inspektor Jury schläft außer Haus
gekommen sind, könnten Sie dann bitte den Hintereingang benutzen?»
Jury hatte gerade die Hand auf den schweren Türklopfer aus Messing gelegt, als er etwas um die Ecke trappeln hörte. Er hatte sich umgedreht und Pferd und Reiterin zwischen den Bäumen auftauchen sehen. Er war überzeugt, daß Mrs. Bicester-Strachan ihn nicht für den Handwerker hielt, als sie ihn auf der Treppe ihres Hauses stehen sah. Er trug weder entsprechende Kleidung, noch war ein Lieferwagen in seiner Nähe geparkt. Wahrscheinlich gehörte es zu ihren Gewohnheiten, Leute vor den Kopf zu stoßen.
Er tippte höflich gegen seinen Hutrand. «Inspektor Richard Jury, New Scotland Yard. Ich würde mich gerne mit Ihnen und Ihrem Mann unterhalten, wenn das möglich ist.»
Sie stieg ab, entschuldigte sich aber nicht. Im selben Augenblick ging die Tür auf, und Jury blickte in das Gesicht eines älteren Mannes von seiner Größe und Statur, der ihn aber überragt hätte, wenn er sich aufrecht gehalten hätte.
«Oh, entschuldigen Sie bitte, daß ich Sie hier rumstehen lasse. Ach, meine Frau hat Sie schon entdeckt –» Er setzte einen an einem Ripsband befestigten Zwicker auf.
Als Lorraine sie einander vorstellte, kam ein vermummter Junge um das Haus und führte das Pferd weg.
«Wir hatten gerade einen gewissen Pratt zu Besuch. Er kam von der Polizei in Northampton», bemerkte Willie Bicester-Strachan, als Jury seinen Mantel ablegte.
«Ja, ich weiß, ich habe aber auch noch ein paar Fragen, Mr. Bicester-Strachan.» Sie gingen in den Salon, der auf Jury einen ziemlich kalten und steifen Eindruck machte. Das Mobiliar sah zwar teuer, aber nicht sehr gemütlich aus, und als Lorraine Bicester-Strachan sich ihm zuwandte, machte sie auf ihn genau denselben Eindruck. Sie trug ihre Reitkleidung – eine schwarze Melton-Jacke, glänzende Stiefel. Als sie ihre Samtkappe abnahm, bemerkte Jury, daß ihr Haar betont altmodisch im Stil der zwanziger Jahre frisiert war. Es bauschte sich um ihr Gesicht und war auf dem Kopf zu einem Knoten zusammengesteckt. Ihre Haut schimmerte elfenbeinfarben, und ihre Augen waren schwarz wie Onyx. Sie wirkte wie ein Mannequin aus einem Modejournal, kalt, aber von einer attraktiven Herbheit und Strenge.
«Sollten wir dem Inspektor nicht einen Drink anbieten, Liebling?» sagte Willie Bicester-Strachan.
«Trinkt denn Scotland Yard?» fragte sie mit gespielter Verwunderung, während sie sich aus einer Kristallglaskaraffe ein Glas Sherry eingoß.
Verärgert durch diese Sammelbezeichnung hätte Jury am liebsten gleich zwei runtergekippt, aber er besann sich und setzte eine ausdruckslose Miene auf. Er wußte jedoch, daß ihm der Ärger im Gesicht geschrieben stand. Schon während seiner Ausbildung war ihm diese ausdruckslose Miene nie richtig gelungen. Bicester-Strachans höfliche Aufforderung, doch einen Drink zu nehmen, lehnte er ab. Lorraine drückte den Stöpsel in die Karaffe und ging mit ihrem Glas zu einem rosa Samtsessel. Sie machte es sich darin bequem; die Beine hatte sie auf eine schlaksige, jungenhafte Art von sich gestreckt und an den Knöcheln überkreuzt. «Wir haben es doch mit Ober inspektor Jury zu tun? Warum so bescheiden?» Sie hob ihr Glas ganze zwei Zentimeter, um ihn willkommen zu heißen.
«Ich wette, Sie wußten ganz genau, daß ich nicht der Klempner war.»
Sie machte einen leicht verlegenen Eindruck, aber ihre Arroganz gewann schnell wieder die Oberhand. «Oh, ich hab’s mir zusammengereimt. Hier spricht sich alles ziemlich schnell herum. Es ist nur irgendwie lästig, auf Schritt und Tritt der Polizei zu begegnen; man könnte meinen, sie wären hier zu Hause. Und dieser Superintendent Pratt war eine ziemliche Nervensäge, gelinde ausgedrückt.»
«Sie scheinen diese Verbrechen eher als eine Belästigung aufzufassen.»
Sie zuckte mit den Schultern. «Was erwarten Sie – daß ich in Tränen ausbreche?»
«Ich muß doch bitten, Lorraine», sagte ihr Mann; er hatte sich in einem Sessel beim Kamin niedergelassen, vor dem ein kleiner Tisch mit einem Schachbrett stand. Er senkte den Kopf, als würde er sich eine Strategie zurechtlegen.
«Ich würde von Ihnen gern hören, was sich an den beiden Abenden, am siebzehnten und achtzehnten, abgespielt hat.»
«Am besten, ich sag’s Ihnen gleich», meinte Lorraine, «ich war so betrunken, daß ich mich nur noch ganz verschwommen daran erinnere.»
«Sie erinnern sich also nicht, wer zwischen neun und elf in dem Speiseraum war und wer nicht?»
«Ich weiß
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