Inspektor Jury schläft außer Haus
Schönheit der Landschaft, die sie umgab. Das Dorf mußte ein Traum für einen Künstler sein.
«Etwas langweilig nach London, oder nicht?»
«Wir hatten genug von London. Es ist nicht mehr wie früher. Man könnte glauben, man ist in Arabien oder Pakistan, wenn man die Oxford Street entlanggeht –»
«Warum sagst du nicht die Wahrheit, Lorraine?» meinte Willie Bicester-Strachan unter seinen gefalteten Händen hervor, die den über das Schachbrett geneigten Kopf abstützten.
«Was redest du denn da, Willie?» Die abweisende elfenbeinfarbene Maske war gefallen, und ihre Stimme klang unnatürlich hoch.
«Der eigentliche Grund, weshalb wir hierherzogen –» Bicester-Strachan blickte nicht einmal von seinem Schachbrett hoch. «Wir – ich – hatten in London eine unangenehme Sache am Hals. Aber vielleicht haben Sie das schon in Erfahrung gebracht?» Er blickte auf und lächelte; es war aber kein sehr glückliches Lächeln.
Wie von der Tarantel gestochen fuhr Lorraine aus ihrem Sessel hoch. «Ich dachte, damit wäre endlich Schluß – die Zeitungen, die Reporter, diese ganze Chose – deshalb sind wir ja aus London weggezogen. Und jetzt geht das wegen dieser verdammten Morde wieder von vorne los.»
Sie schien zu glauben, die Morde seien nur begangen worden, um sie zu ärgern. Bicester-Strachan kümmerte sich jedoch nicht weiter um ihren Ausbruch, und Jury erkannte, daß trotz ihrer Arroganz und der vertrottelten, geistesabwesenden Art, die sich ihr Mann zugelegt hatte, Willie Bicester-Strachan doch der Stärkere von beiden war.
«Vor ein paar Jahren arbeitete ich für die Regierung. Im Verteidigungsministerium, Inspektor. Ich hoffe, Sie verzeihen mir, wenn ich auf Einzelheiten verzichte –»
«Mein Gott, Willie! Das ist doch lächerlich. Warum gräbst du denn das wieder aus?»
Bicester-Strachan machte jedoch nur eine ungeduldige Handbewegung. «Das ist Scotland Yard, Lorraine, sei vernünftig.»
Vernunft schien offensichtlich nicht Lorraines Stärke zu sein. Jury fragte: «Und dann ist etwas passiert?»
«Allerdings. Es wurde aber nicht richtig publik, weil ich es vorzog, mein Amt aufzugeben, bevor der Skandal in der Öffentlichkeit ausgewalzt wurde. Ich beging – es ist mir ziemlich peinlich, darüber zu sprechen – eine Indiskretion; ich gab eine Information weiter, die ich nicht hätte weitergeben dürfen. Glücklicherweise war ich selbst falsch informiert gewesen, was ich aber nicht wußte.» Er lächelte gequält. «Deshalb wurde ich auch nicht angeklagt.»
«Weitergegeben – an wen?»
«Das spielt doch keine Rolle, Inspektor.»
Jury wollte nicht weiter in ihn dringen; allein die Sache zu erwähnen war für Bicester-Strachan schon äußerst unangenehm gewesen. «Ich weiß nicht, Mr. Bicester-Strachan.» Geheimnisse aus der Vergangenheit hatten schon mehr als einen Mord motiviert. Jury erhob sich. «Ich mache mich wieder auf den Weg. Vielen Dank einstweilen. Vielleicht muß ich Ihnen irgendwann noch einmal ein paar Fragen stellen.»
Bicester-Strachan war ebenfalls aufgestanden und gab Jury die Hand. «Es ist wirklich eine üble Geschichte. Und das in einem so friedlichen Dorf – na ja, leben Sie wohl.»
«Auf Wiedersehn.»
«Ich begleite Sie noch hinaus», sagte Lorraine.
An der Tür fragte sie ihn: «Und wohin gehen Sie jetzt?»
«Nach Ardry End.»
«Aha, mit ihm werden Sie Ihren Spaß haben. Wo sind Sie denn untergebracht?»
«In der Büchse der Pandora.» Um ihre Reaktion zu sehen, sagte er: «Ich habe gehört, daß Miss Rivington – Vivian – mit dem Besitzer verlobt ist.»
Sie erstarrte, als hätte man ihr einen Peitschenhieb versetzt. «Simon Matchett? Und Vivian? Das ist doch absoluter Blödsinn.» Sie beruhigte sich etwas. «Sie haben bestimmt mit Agatha gesprochen. Sie hat nur ein Ziel im Leben – Vivian von Melrose fernzuhalten. Wahrscheinlich, um sich ihr sogenanntes Erbe zu sichern. Vivian gehört zu den ganz Scheuen. Sie ist so unbeholfen, daß ich es ermüdend finde.»
«Hmm, nochmals vielen Dank, Mrs. Bicester-Strachan.»
«Lorraine.»
Jury lächelte nur und wandte sich erleichtert dem frisch gefallenen Schnee zu.
VIII
Während Inspektor Richard Jury die Bicester-Strachans befragte, blies Lady Ardry in die Tasse Tee, die ihr Ruthven nur sehr unwillig gebracht hatte. Aber aus der Küche von Ardry End kamen sogar die kleinen Törtchen zum Vorschein, auf die sie so versessen war.
«Ich hoffe nur, er versteht etwas von seinem Beruf», sagte sie in bezug auf
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