Inspektor Jury schläft außer Haus
auf ihrem Platz, ein lebendes Bild. Dann schnappte er die letzten Worte eines Satzes auf, den Matchett von sich gab: «… wo wir leben werden, Liebling.»
Jury stand unbeweglich in dem Schatten; sein Glas wog so schwer wie ein Stein in seiner Hand.
«… hier könnte ich nicht mehr, Simon. Nicht, nachdem all das passiert ist. Und jetzt auch noch die arme Ruby Judd. Mein Gott!» Sie zog ihren Pullover an sich; Matchett half ihr dabei, und seine Hand blieb auf ihrer Schulter liegen.
«Großer Gott, denkst du ich, mein Herz? Du solltest einfach alles hinter dir lassen. Oder vielmehr, wir beide sollten das tun. Zu viele unangenehme Erinnerungen für jeden von uns. Vivian, mein Liebes –» Seine Finger fuhren von ihrem Nacken zu den Haaren hoch und schienen sich in den goldbraunen Strähnen zu verfangen. «Irland. Wir gehen nach Irland, Viv. Das wäre genau das Richtige für dich. Bist du schon einmal in Sligo gewesen?» Sie hielt den Blick gesenkt und schüttelte den Kopf. «Wirklich, das sollten wir tun – es ist das Land für dich. Komisch, nichts kann die Ruhe und den Frieden Irlands stören, nicht einmal dieser endlose Krieg. Es gehört immer noch zu den friedlichsten Plätzen dieser Welt.»
Sie verschränkte die Arme auf dem Tisch und schaute ihm in die Augen. «Ich glaube, du bist ein bißchen zu unternehmungslustig, um dich nach Irland zurückzuziehen. Es sei denn, du hast vor, dich der IRA anzuschließen.»
Seine Hand wanderte etwas tiefer, bis er mit einem Finger die Rundung ihrer Wange nachfahren konnte. «Das ist Unsinn. Ich sehne mich genauso nach Ruhe wie du. Ich möchte mit ein paar Wolfshunden vor einem prasselnden Kaminfeuer sitzen, in einem großen, mit Rauchschwaden erfüllten Raum. Hör zu, für die Pandorabüchse kriege ich schon einiges, und mit dem Geld kann ich mir dort was Neues kaufen – eine Kneipe vielleicht. Oder ich werde Waffenschmuggler, ganz egal was, wenn wir nur davon leben können –»
Daraufhin erfolgte eine kurze Pause. «Ich glaube, um unseren Lebensunterhalt brauchen wir uns nicht zu viel Sorgen zu machen.»
Die Hand fiel von ihrer Wange auf ihre Schulter und zog sich dann wieder auf den Tisch zurück. «Gib’s weg, Vivian!»
«Was soll ich weggeben?»
«Das Geld. Gib’s für einen guten Zweck, egal was. Du brauchst es nicht, und ich will’s nicht haben; bis jetzt hat es nur Unglück gebracht – mir zumindest. Mein Gott, du willst nicht einmal, daß die andern von uns erfahren. Und Weihnachten willst du auch nicht mit mir verbringen!»
Sie lachte. «Oh, Simon! Das ist doch kindisch.» Sie legte ihre Hand auf seine. «Ich hab das Melrose schon seit Monaten versprochen –»
«Er ist wahrscheinlich der einzige Mann, bei dem du dir sicher bist, daß er es nicht auf dein Geld abgesehen hat. Wenn ich nur die Hälfte hätte von dem, was er hat, würdest du mich auf der Stelle heiraten», sagte er bitter.
Während er versuchte, sich noch weiter in das Dunkel zurückzuziehen, hatte Jury das unwirkliche Gefühl, einer Theateraufführung beizuwohnen.
«Ich mache dir deswegen weiß Gott keine Vorwürfe», fuhr Simon fort, «nicht nach der schrecklichen Kindheit, die du gehabt hast. Offen gestanden, es würde dir auch nicht schaden, Isabel mal los zu sein.»
«Das ist das erste Mal, daß du etwas gegen Isabel sagst.»
«Es ist gar nicht gegen sie, ich denke nur, du solltest sie dir vom Hals schaffen. Sie erinnert dich an diese unglückselige Geschichte. Und ich bin mir nicht sicher, ob sie das nicht auch ausnützt. Du denkst, du schuldest ihr so verdammt viel. Mein Herz, du schuldest überhaupt niemandem was. Und wenn du mich nicht heiraten willst, dann geh einfach so mit mir weg. Und leb mit mir zusammen. Dann kann ich überhaupt nie an dein Geld rankommen –» Sie schien nicht zu wissen, ob sie lachen oder weinen sollte. «Hör zu, mein Herz. Wir kaufen uns irgendeine alte Burgruine. Kannst du dir vorstellen, wie gut Irland für dich als Schriftstellerin sein wird? Und ich würde dich auch nicht stören, sondern einfach nur mit meinen Wolfshunden losziehen, mich um die Kneipe kümmern oder was sonst gerade anfällt – wenn ich dich nur bei mir habe. Das Land von Yeats! Ich kauf dir einen Turm wie Yeats für seine Frau. Obwohl ich schon froh bin, daß du nicht George heißt.» Sie lachte nun wirklich.
«Wunderschön», sagte Vivian. «Aber eigentlich liebte er sie gar nicht so sehr, oder? Seine große Liebe war doch Maud Gonne.»
«Verzeih, dann ist es Maud Gonne,
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