Inspektor Jury schläft außer Haus
wohnt. Smollett ist weggefahren, und seine Frau ist vor ein paar Jahren gestorben. Rosamund hieß sie.»
Verdammt, dachte Jury. «Und was ist mit der andern Frau – kann ich die sehen?»
«Daisy Trump? Ja, sie lebt in Robin Hood’s Bay. In Yorkshire.»
«Lassen Sie sie hierherkommen, Wachtmeister. Oder warten Sie, am besten, Sie fahren selbst nach Robin Hood’s Bay – mehr als ein paar Stunden kann das nicht dauern. Und reservieren Sie dieser Trump dann irgendwo hier ein Zimmer. Vielleicht finden Sie ja in dieser gottverdammten Gegend einen Gasthof, in dem noch niemand umgebracht wurde, oder ist das unmöglich?»
Wiggins hatte den Hörer abgelegt, und Jury hörte, wie sie beratschlagten. Dann ließ sich der Wachtmeister wieder vernehmen. «Es gibt den Sack voll Nägel, ganz in der Nähe von Dorking Dean. Ein paar Kilometer hinter dem Schwanen.» Wiggins schlürfte seinen Tee. «Hieß so nicht auch einer von Matchetts Gasthöfen?» fragte er unschuldig.
«Ja», sagte Jury. «Es ist ein ziemlich häufiger Name. Gut, quartieren Sie sie dort ein und stellen Sie um Gottes willen einen Wachtposten vor die Tür der armen Frau.»
«Ja, Sir», sagte Wiggins. «Superintendent Pratt möchte wissen, ob Sie nicht nach Weatherington kommen könnten. Er hat da ein paar Dinge mit Ihnen zu besprechen.» Wiggins senkte seine Stimme, als befürchtete er, London könne ihn hören.
«Und Kriminaldirektor Racer hat auch angerufen. Er scheint auf hundertachtzig zu sein. Kann ich ihm denn was ausrichten, wenn er das nächste Mal anruft?»
«Aber ja. Wünschen Sie ihm frohe Feiertage von mir. Mit etwas Verspätung, aber trotzdem von ganzem Herzen.» Jury legte auf, während Wiggins noch in sich hineinkicherte. Offensichtlich hatte er Racer auch nicht gerade ins Herz geschlossen.
Melrose Plant saß an dem Tisch in der Fensternische und verschlang gerade ein Stück von Mrs. Scroggs Kalbfleischpastete; als die Tür aufging und Marshall Trueblood hereinkam. Trueblood gehörte zu den Leuten, die Melrose sehr viel sympathischer waren, wenn er ihnen begegnete, als wenn er nur an sie dachte. An einem Spätnachmittag im Winter bei einer Pinte Bier konnte Trueblood sehr unterhaltsam sein.
«Hallo, alter Knabe, darf ich mich dazusetzen?» Trueblood schüttelte seinen grauen Kaschmirschal aus und drapierte ihn über den Stuhl.
«Bitte, tun Sie das.» Während Melrose auf den Platz am Fenster deutete, ging die Tür noch einmal auf, und Melrose fügte mit einem Grinsen hinzu: «Jetzt, wo Ihre Hoheit eingetroffen ist, sind wir sozusagen komplett.»
Mrs. Withersby stand in der Tür und blickte sich mißtrauisch um, als könnte der Gasthof über Nacht den Besitzer gewechselt und sich in ein Nest von Dieben und Totschlägern verwandelt haben.
«Hallo, Withers, altes Haus», sagte Trueblood. «Willst du diese Runde spendieren oder soll ich? Aber streiten wir uns nicht, deine Großzügigkeit ruiniert dich noch.» Trueblood warf eine Handvoll Kleingeld auf den Tisch.
Mrs. Withersby hatte ihr Gebiß nicht eingesetzt, und wenn sie sprach, wölbte sich ihr Mund weit nach innen.
«Wenn das nicht der Besitzer vom Bubisalong ist! Zeit, daß du mal ’ne Runde ausgibst. Die letzte hab ich bezahlt, ist kaum ’ne Woche her.»
«Withers, die letzte Runde von dir fand im Ring statt. Was soll’s denn sein?»
«Das Übliche», sagte sie und plumpste neben Melrose auf den Stuhl; sie nahm ihn auch gleich unter Beschuß. «Wär’s nicht mal an der Zeit, daß Sie sich nach ’ner ehrlichen Arbeit umschaun, gnädiger Herr?»
Melrose neigte höflich den Kopf und hielt ihr sein goldenes Zigarettenetui hin; der Geruch, der ihm entgegenschlug, ließ ihn zurückprallen – es war eine Mischung aus Gin, Knoblauch und was sonst noch in den Rezepten ihrer seligen Mutter für ein langes Leben enthalten war.
«Und was macht der gnädige Herr hier im Dunkeln mit unserm Hübschen, hmmm? Hoffentlich kommt das Tantchen nicht dahinter. Oh! Vielen Dank, du bist ein Schatz.» Ihr Ton veränderte sich plötzlich, als Trueblood ihr ein Glas hinstellte. «Du bist wirklich ein Schatz, der Beste bist du, ich hab das immer gesagt. Wenn alle so spendabel wären.» Sie warf Melrose einen bösen Blick zu.
«Sag mal, Withers», meinte Trueblood leutselig, während er sich eine lavendelfarbene Balkan Sobranie anzündete, «was hältst du von den Greueltaten, die sich hier in Long Pidd zugetragen haben? Ich hoffe, du hast dich kooperativ gezeigt bei der Polizei?» Trueblood lehnte
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