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Inspektor Jury schläft außer Haus

Titel: Inspektor Jury schläft außer Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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anscheinend für eine Predigt gedacht gewesen waren.
    «Hören Sie sich das an», sagte Jury zu Melrose, der immer noch mitten im Raum stand und auf die Leiche des Pfarrers starrte: « Bacchanals … Hirondelle … God encompasseth us … Können Sie sich einen Reim daraus machen?»
    Plant trat an den Schreibtisch, blickte auf den Zettel und schüttelte den Kopf.
    «Wir nehmen das mit, wenn die Spuren gesichert worden sind. Offen gestanden, habe ich nicht die geringste Hoffnung, daß dabei was herauskommt.» Er betrachtete die Gegenstände auf dem Schreibtisch: Löscher, Tintenfaß, Federhalter, eine Vase mit späten Rosen. Sein Blick wanderte zu den offenen Schubladen, und er bemerkte, daß der Inhalt zwar durchwühlt, aber nicht beschädigt worden war. Im Hof des Pfarrhauses war das Quietschen von Reifen zu hören, und durch die dunklen Scheiben konnten sie das Blaulicht aufleuchten sehen, das entweder zum Polizeiwagen oder zur Ambulanz gehörte. Dann kam die Mannschaft von Weatherington hereingestolpert, gefolgt von Kriminalwachtmeister Wiggins. Es hatte angefangen zu regnen, graue, schräg einfallende Regenschnüre und gelegentlich ein kurzes Donnern, das wie ein Trommelwirbel von einem fernen Planeten klang, begleitet von Wetterleuchten – ein perfekter Rahmen für einen Mord.
    «Wer ist es denn dieses Mal?» fragte Appleby mit einem Lächeln so strahlend wie Lametta.
    Jury, der sich am Tod des Pfarrers mitschuldig und dementsprechend erbärmlich fühlte – hätte er vermieden werden können, wenn er, statt nach Weatherington zu fahren, in Long Piddleton geblieben wäre? –, sagte niedergeschlagen: «Reverend Smith. Denzil Smith. Der Pfarrer von St. Rules.»
    Der Polizeifotograf – Jury erinnerten sie immer an grimmig aussehende Touristen – nahm die Leiche aus jedem nur möglichen Blickwinkel auf und verrenkte sich dabei wie ein Schlangenmensch. Jury zog eine Zigarette aus seiner Packung und beobachtete, wie der Experte für Fingerabdrücke alles von den Türklinken bis zu den Lampenschirmen einstaubte. Ein Kriminalbeamter hatte sich an der Tür postiert, ein anderer inspizierte die oberen Räume, und ein dritter stand einfach nur herum und wartete auf Anweisungen.
    Als der Fotograf fertig war, beugte sich Dr. Appleby über die Leiche; Wiggins stand hinter ihm, das Notizbuch in der Hand. Er sah miserabel aus, was nicht gerade verwunderlich war. Appleby rasselte die Details herunter – Zustand der Leiche, Größe, Gewicht, Alter. Der Mord mußte zwischen sechs und acht Uhr an diesem Abend passiert sein. Er sagte jedoch, die Totenstarre allein sei kein hinreichendes Kriterium. Die ganze Szene wirkte erschreckend vertraut, als werde immer wieder dieselbe Filmrolle abgespult.
    Wieder quietschten Reifen, und Türen wurden aufgerissen und zugeschlagen. Dieses Mal waren es die Männer, die die Leiche abtransportieren sollten. Sie standen stumm herum und warteten darauf, daß Appleby ihnen ein Zeichen gab. Appleby beendete seine flüchtige Untersuchung, und sie hüllten die Leiche in eine Plastikplane.
    Als alle fertig waren, zündete Appleby sich eine Zigarette an. Er blies einen kleinen Rauchkringel in die Luft und sagte: «Ich hatte schon mit dem Gedanken gespielt, mir hier ein kleines Häuschen zu kaufen, für meine alten Tage. Aber unter diesen Umständen bin ich mir nicht mehr so sicher, ob sich die Investition lohnen würde.» Er ließ seine Tasche zuschnappen und war schon an der Haustür, als er sich noch einmal umdrehte, um Jury ein «bis auf bald» zuzurufen.
    «Dieser Arzt hat einen seltsamen Humor», meinte Melrose.
    Jury hatte sich wieder an den Schreibtisch gesetzt und über den Zettel mit den Notizen des Pfarrers gebeugt. Er hatte an einem Finger des Pfarrers einen Tintenfleck bemerkt, der dem Fleck auf dem Papier sehr ähnlich sah.
    Man hörte, wie draußen die Autotüren auf- und zuklappten; Scheinwerfer färbten den Nebel gelb, als die Autos rückwärts aus dem Hof fuhren. Wiggins kam zurück, ließ sich auf das Sofa fallen und zog sein Taschentuch hervor. Long Piddleton war anscheinend Gift für seine Leiden. Ein Donnerschlag und ein Schrei des Entsetzens, der sich Wiggins entrungen hatte, veranlaßten Jury, sich blitzschnell umzudrehen: Vor der Fenstertür, die hinter dem Schreibtisch ins Freie führte, waren in dem grellen Licht des Blitzes eine Silhouette und ein weißes Gesicht sichtbar geworden. Jury stürzte auf die Tür zu, blieb aber sofort wieder stehen, als er erkannte, wer es war:

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