Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Inspektor Jury spielt Domino

Inspektor Jury spielt Domino

Titel: Inspektor Jury spielt Domino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
Vom Netzwerk:
äußerlich. Aber in allem anderen erinnerte sie mich an Mutter. Sie war der Schützling meiner Mutter, beinahe ihr anderes Ich.»
    «Ihre frühere Aussage – daß Sie Dillys nicht mochten – entsprach also nicht ganz der Wahrheit.»
    Julian drehte den Kopf beiseite und lächelte ein wenig. «Es war aber auch nicht gerade Lüge.» Seine Augen schimmerten im Licht des Kaminfeuers, ein Schimmern, das von Tränen oder vom Aufblitzen eines Säbels hätte herrühren können.
    «Sie war faszinierend, ja, das schon, aber überhaupt nicht liebenswert. Sie hätte einen Tag wie heute gemocht: die Jagd und den anschließenden Tötungsakt, um es metaphorisch auszudrücken. Der Tod hat sie fasziniert. Ich glaube, sie war jemand, der einen Selbstmordpakt wundervoll gefunden hätte. Bereits mit sechzehn, ja schon mit vierzehn, hatte sie Liebhaber und reichlich davon.»
    «Sie haben Gemma Temple sehr viel über sich erzählt, oder?»
    «Ja, sehr viel.»
    «Auch über Olive Manning und ihren Sohn?»
    «Das floß an einem Punkt auch in die Unterhaltung ein, ja. Die Geschichte meines Lebens. Ich erzähle sie nur selten.»
    «Haben Sie daran gedacht, sie zu heiraten, Mr. Crael?»
    «Vollkommen undenkbar.» Es klang wie das Zuschnappen der Zigarettendose, aus der er sich eine Zigarette genommen hatte.
    «Vielleicht nicht für Gemma Temple. Sie hat bestimmt gedacht, daß sie einen dicken Fisch an Land gezogen hat.»
    «Ich glaube, ich weiß, was Sie sich zurechtgelegt haben, Inspektor. Gemma Temple, die durch mich einiges erfahren hatte und der Olive Manning die übrigen Einzelheiten erzählt hatte – Gemma kam also hierher, in der Absicht, sich als Dillys auszugeben. Und aus Wut, Rache oder was auch immer habe ich sie getötet. Ganz einfach.»
    «Nein, Sir, ganz so einfach nicht. Es gibt da noch den Mord an Olive Manning. Warum sollten Sie Olive Manning umbringen, sie wäre doch noch am ehesten für die Mörderin von Gemma Temple gehalten worden. Ein Raubmord wird es wohl kaum gewesen sein.»
    «Aber Inspektor, wollen Sie etwa doch noch meinen Kopf retten?»
    «Tun Sie doch nicht so, als wäre es Ihnen völlig egal. Ihnen ist vieles nicht egal, mehr als Sie verkraften können, fürchte ich. Erzählen Sie mir, was passiert ist, nachdem die Temple hier auftauchte.»
    «Ich sah sie zum erstenmal, als ich in dieses Zimmer trat; sie waren alle hier versammelt – mein Vater, Gemma und Olive Manning. Wood hatte gerade den Sherry serviert. Ich öffnete die Tür und blickte ihr direkt in die Augen.» Er sah Jury an. «Da saß die Frau, die ich, wie ich meinte, zum letztenmal gesehen hatte, als ich sie in Tränen aufgelöst und völlig hysterisch verließ, weil ich sie nicht heiraten wollte. Und sie lächelte», sagte Julian, als wolle er damit sagen, daß ihr Lächeln alles Unheil dieser Welt mit sich gebracht hätte. «Ich glaube, jedes Wort, das an diesem Nachmittag gesprochen wurde, hat sich in mein Gedächtnis eingeätzt. ‹Hallo, Julian›, sagte sie und streckte mir die Hand entgegen. ‹Was zum Teufel machst du denn hier›, sagte ich.
    ‹Ich kann verstehen, daß du fassungslos bist›, sagte mein Vater. ‹Ich konnte es auch nicht glauben.› Er war völlig außer sich vor Freude. ‹Sie ist zurückgekommen – Dillys ist wieder da. ›»
    Julian schloß die Augen. «Beinahe wäre ich herausgeplatzt – vor versammelter Mannschaft, aber etwas in ihren Augen hielt mich zurück. Die ganze verdammte Situation war so unmöglich, daß ich lachen mußte. Der Gedanke, daß sie sich als Dillys ausgeben könnte …»
    «Sie haben sie getötet, nicht?»
    Müde drehte Julian den Kopf, um Jury anzusehen. «Nein, aber ich weiß, Sie werden mir nicht glauben –»
    Jury schüttelte den Kopf. «Nicht Gemma Temple, Dillys March.»
    Das Tageslicht war so schnell aus dem Zimmer gewichen, als hätte jemand mit den Fingern eine Kerze ausgelöscht. Außer dem halbrunden Lichtschein des Kaminfeuers war das Zimmer in Dunkelheit getaucht. Die verschwommenen Konturen der Stühle und Tische ließen sie wie Überbleibsel aus einer anderen Welt erscheinen. Julian schwieg eine Weile, dann sagte er: «Wie zum Teufel sind Sie darauf gekommen?»
    «Ich habe es schon länger vermutet. Sie schien nicht jemand zu sein, der eine größere Summe Geld einfach so sausen läßt. Aber eigentlich haben Sie es mir selbst vor ein paar Minuten gesagt.»
    «Inwiefern?»
    «Wie Sie Ihre Begegnung in der Victoria Station beschrieben haben. Bisher wurde doch immer angenommen, daß

Weitere Kostenlose Bücher