Inspektor Jury spielt Domino
schien ihn genauso aus der Fassung zu bringen wie den Colonel. Er mußte seine Stellung am Kamin aufgeben, um sich hinsetzen zu können. «Olive? Oh, mein Gott, aber warum –?»
«Wegen des Geldes und aus Rache, nehme ich an. Ihrer Meinung nach hatten die Craels schuld an Leos traurigem Schicksal.»
«Es fällt mir schwer zu glauben, daß sie meinen Vater auf diese Art betrogen hat. Wie haben Sie es herausgefunden?»
«Indem ich ins Hotel ‹Sawry› ging.» Julian erblaßte.
«Vielleicht war es Miss Temple, die die Streichhölzer liegenließ. Mit Absicht, natürlich.»
Es entstand ein langes Schweigen, das nur von einem funkensprühenden, berstenden Holzscheit im Kamin unterbrochen wurde. «Sie wissen es also», sagte Julian.
Er holte das Bild aus seiner Tasche, das Melrose gefunden hatte, und legte es auf den kleinen Tisch neben Julians Stuhl. Julian betrachtete es eine ganze Weile und murmelte leise: «Wie dumm von mir.» Er ließ den Kopf zurückfallen und sagte: «Es war dumm, die Bilder aufzuheben. Ich erspar mir die Frage, wie Sie an die Fotos gekommen sind. Es ändert schließlich nichts an der Sache. Ich nehme an, das beantwortet alle Ihre Fragen?»
«Nein. Haben Sie sie in London kennengelernt?»
«An der Victoria Station. Ich hatte den Zug nach London genommen … das war letztes Jahr. Ich ging in das Café, um eine Tasse Kaffee zu trinken. Sie saß da, aß ein Stück Kuchen und trank Tee. Ich konnte es nicht fassen, jenes Mädchen, das Dillys hätte sein können, da sitzen zu sehen. Natürlich nur ein wenig älter. Man sah es ihr allerdings kaum an.» Sein Lächeln war schwach, nervös. «Es ist nicht meine Art, Frauen anzusprechen, wirklich, aber ich nahm all meinen Mut zusammen, und es ging gut. Ein albernes Gespräch über die Züge und das Wetter. Sie war sehr freundlich.»
«Prostituierte sind bekannt dafür.»
Julian wurde rot. «Aber sie war keine, ich meine, nicht wirklich.»
Jury lächelte. «Nur so ein bißchen.»
«Denken Sie, was Sie wollen. Eigentlich war sie eine arbeitslose Schauspielerin. Dafür gibt es Beweise, wenn ich nicht irre?»
«Ja. Sie kannten Gemma Temple also ungefähr ein Jahr. All ihre Reisen nach London …»
«Offensichtlich eine unkluge, gefährliche Liaison. Aber ich konnte mir nicht helfen. Ich frage mich, wie viele Männer das schon gesagt haben? Aber es war – als würde mir etwas wiedergegeben. Als Mutter und Rolfe und dann auch Dillys verschwanden, fühlte ich mich beraubt. Ich war nicht nur allein, sondern auch, nun ja, beraubt, verletzt. Als ob man dieses Haus geplündert und alles entfernt hätte. Ich kann es nicht erklären. Aber mit ihr zusammen war es … als ob alles wieder gut wäre.» Er verstummte. Julian ließ die Vergangenheit weniger los als seinen Vater. «Sie müssen Dillys sehr gemocht haben, sonst hätten Sie wohl nicht versucht, sie in der Person von Gemma Temple wiederauferstehen zu lassen.»
Julian warf ihm einen Blick zu. «Eine fixe Idee, meinen Sie das? Eine Art Verrücktheit?» Er wandte sich um und starrte auf das Porträt Lady Margarets. «Ich war ihr Schoßhündchen. Schoßhündchen, objet d’art – sie reichte mich herum wie eine vollendet geschnittene Gemme. Ich war schön.» In seiner Stimme lag eher Verachtung und Bitterkeit als Eitelkeit und Stolz. «Ich war jemand, der verhätschelt und geputzt wurde, den sie aber, sobald sie damit fertig war, wieder in das Schmuckkästchen zurücklegte – eine Puppe mit Flachshaar und Saphiraugen. Ich glaube nicht, daß sie mich überhaupt zur Kenntnis nahm, außer wenn ich der Öffentlichkeit vorgeführt wurde. Es war, als existierte ich einfach nicht, wenn es niemanden gab, dem ich vorgezeigt werden konnte. Aber ich habe sie vergöttert, sie über alles geliebt. Nachts lag ich wach und habe darauf gewartet, daß sie nach Hause kommt, von einer Party zurückkehrt. Wenn ich den Wagen kommen hörte, schlich ich mich ans Fenster, um sie zu sehen. Wenn es zu finster war, um etwas erkennen zu können, dann horchte ich; sie trug diese raschelnden Kleider. Es ist merkwürdig, wie die Kleider anderer Frauen einfach nur an ihnen hingen, ohne ein Geräusch zu machen. Aber an dem Rascheln erkannte ich immer, daß sie es war.» Er saß zurückgelehnt im Stuhl und hatte die Augen geschlossen. «Warum mußte sie mit Rolfe zusammen sterben? Eigentlich hätte ich es sein sollen.»
«Aber was ist mit Dillys March? Wir sprachen von ihr. Sah sie Ihrer Mutter wirklich so ähnlich?»
«Nein, nicht
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