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Inspektor Jury spielt Domino

Inspektor Jury spielt Domino

Titel: Inspektor Jury spielt Domino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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beide auf einmal zu verlieren, Frau und Sohn. Ein Autounfall, sagte mir der Colonel.»
    Sie seufzte. «Vor achtzehn Jahren ist das passiert. Rolfe war erst zweiunddreißig.» Sie spielte ständig mit einem Silbermesser herum, als wollte sie es gleich hochheben und sich – oder ihm – in die Brust stoßen. Ihr verkrampftes Gesicht hatte sich etwas entspannt und einen leidenden Zug angenommen. Er wußte, daß ihr Sohn in einer Anstalt war, aber er hatte nicht vor, dieses Thema anzuschneiden. Er sah sie von der Seite an.
    «Eine Tragödie. Es ist also nur noch Julian übrig?»
    «Ja.» Ihr Blick war wie ein Peitschenhieb. Er war zu nahe an das Thema herangekommen, über das sie nicht sprechen wollte. Melrose schob sich den Rest seiner Zigarre in den Mundwinkel und lehnte sich zurück, die Hände hinter dem Kopf verschränkt. Er blies einen Rauchkringel in die Luft. «Gehen Sie gern auf die Jagd, Mrs. Manning?»
    Das war ungefährlicher. Ihre Züge entkrampften sich wieder.
    «Ja, sehr gern. Ich bin schon als kleines Mädchen mit auf die Jagd gegangen. In diesem Haushalt geht das gar nicht anders.» Das Licht, das auf ihr Haar fiel, war so matt und gedämpft, als käme es durch eine Milchglasscheibe. Sie mußte einmal eine hübsche Frau gewesen sein, bevor diese unterdrückte Wut von ihr Besitz ergriffen hatte.
    «Julian ist aber nicht so versessen darauf. Für seinen Vater muß das ja eine herbe Enttäuschung sein.» Melrose lächelte.
    «Nein, Julian ist –» Ihr Blick streifte ihn wieder wie ein Schlag mit der flachen Hand, dann wandte sie sich ab und starrte aus den hohen Fenstern.
    «Und von Parties hält er wohl auch nicht gerade viel?» Melrose blickte überallhin, nur nicht auf sie.
    Ihr Körper versteifte sich, und sie lehnte sich in ihrem Sessel zurück. «Julian ist einfach nicht sehr gesellig. Nicht wie –»
    Als sie stockte, hakte er sofort nach. «‹Nicht wie› –»
    «Ich dachte an Rolfe. Rolfe war eher der Sohn seines Vaters. Und seiner Mutter, was das betrifft.» Ihr Ton war unbeteiligt, neutral. Ob sie nun Julians Verhalten billigte oder nicht, ließ sich nicht erraten.
    Melrose beschloß, die Sache direkter anzugehen. «Es ist wirklich zu dumm, daß er jetzt auch noch unter Verdacht steht. Ich meine Julian.»
    «Ich weiß, wen Sie meinen, Lord Ardry. Es ist natürlich lächerlich.» Sie erhob sich und strich sich das Haar, das im Nacken zu einem Knoten geschlungen war, an den Schläfen zurück. «Ich muß noch ein paar Anrufe für die Köchin erledigen. Wie lange werden Sie bei uns bleiben, Lord Ardry?»
    «Oh, ich weiß nicht. Ich bin gerade von York hierhergeflitzt. Ich denke, noch ein paar Tage. Zwei oder drei.» Oder vier oder fünf. «Und nennen Sie mich doch einfach Plant, Mrs. Manning. Nicht Lord Ardry.»
    Sie schien es überhaupt nicht komisch zu finden, daß der einzige Sohn sich nicht mit dem Titel seines verstorbenen Vaters schmücken wollte. «Ah, gut. Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen.»
     
    Eine Glanzleistung , beschimpfte sich Melrose, als er vom Speisezimmer in den Raum hinüberging, den der Colonel sein «Nest» nannte. Einfach umwerfend, mit welcher Leichtigkeit du das aus ihr herausgeholt hast. Eine Wurzelbohrung ist nichts dagegen. Wütend ließ sich Melrose in einen Sessel fallen und schlug die Beine übereinander. Er drückte den Stummel seiner Zigarre aus und zündete sich eine neue an; dann blickte er sich suchend nach einer Karaffe um und entdeckte gleich zwei, die eine astronomische Summe gekostet haben mußten. Er holte sich ein Glas Portwein, lehnte sich zurück, rauchte und trank und starrte zur Decke hoch. Mit Decken kannte er sich aus. Diese hier war ein wahres Kunstwerk. Angelika Kauffmann? Joseph Rose? Er war sich nicht sicher. Es war auf jeden Fall ein fabelhafter Stukkateur gewesen – eine Decke, die beruhigend wirkte, die ihm half, sich zu konzentrieren. Die Unterhaltung vom Abend zuvor war ihm so gegenwärtig, als hätte er sie gedruckt vor sich liegen.
     
    «Erpressung?» hatte Julian Crael zu ihm gesagt und frostig gelächelt. «Und womit zum Teufel hätte diese Temple mich erpressen können?»
    Melrose hatte strahlend geantwortet: «Was weiß ich, alter Junge, was haben Sie denn so auf dem Gewissen?»
    Sie waren im Salon gewesen; Julian hatte neben dem Kamin unter dem Porträt seiner verstorbenen Mutter gestanden. Und Melrose hatte sich gefragt, ob die Flammen nicht auch diese gletscherblauen Augen zum Schmelzen bringen könnten. «Ich befürchte,

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