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Inspektor Jury spielt Domino

Inspektor Jury spielt Domino

Titel: Inspektor Jury spielt Domino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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«Netz» war nicht die richtige Bezeichnung. Spinnennetze waren sehr viel symmetrischer als die Straßen von Rackmoor. Dark Street war eine Sackgasse und nur über die Scroop Street zu erreichen. Dagger Alley war nichts weiter als ein schmaler Pfad zwischen der «Glocke» und einem leeren Warenhaus.
    «Gut, vielen Dank, Les. Falls dir noch was einfällt, ruf mich an.»
    «Ja, alles Gute.» Er drückte sich seine dunkle Brille auf die Nase.
    Maud Brixenham begleitete Jury und Wiggins zur Tür; zurück blieben ein Fetzen Papier, der an ihren Schuhen klebte, und ein winziger Knopf, der endlich dem Gesetz der Schwerkraft gefolgt war. Jury fragte sich, wie Maud Brixenham je einen Mord begehen wollte: Sie würde eine Spur hinterlassen, die von Rackmoor bis Scarborough reichte.
    Als er wieder draußen im Nebel stand, drehte Jury sich noch einmal nach ihr um und sagte: «Vielen Dank, Miss Brixenham.»
    «Verlaufen Sie sich nicht in dem Nebel.»
    Jury lächelte: «In Rackmoor kann man sich wohl kaum verlaufen.»
    «Glauben Sie das mal nicht. Früher haben sich hier Seeräuber und Schmuggler versteckt. Geht leicht bei den verwinkelten kleinen Straßen.»
    Jury hatte den Eindruck, daß Wiggins sich nur ungern auf den Weg machte. «Haben Sie noch irgendwelche Fragen, Sergeant?»
    «Sagen Sie», meinte Wiggins zu Maud Brixenham, «ist es denn sehr schwer, Bücher zu schreiben?»
    Jury seufzte und zündete sich eine Zigarette an. Versuchte Wiggins in Rackmoor seine eigentliche Berufung zu entdecken?

14
    Die Beklemmung und die Angst, die Jury in Lily Siddons’ Gegenwart verspürt hatte, schlug am nächsten Morgen, als er die Augen öffnete, wie eine große, dunkle Woge über ihm zusammen; er drehte sich zum Fenster, wußte jedoch, daß er außer dem grauen Nebel, der den Raum hermetisch abdichtete, nichts sehen würde. Ein Gefühl der Schwere lastete auf seiner Brust, als hätte er einen Alptraum gehabt.
    Er raffte sich auf, sprang aus dem Bett und trat an das Fenster. Er starrte auf das bleigraue Wasser, soweit der Seenebel und das trübe Licht das überhaupt erlaubten. Die kleinen grünen und blauen Boote waren kaum zu sehen.
    Jury zog sich an, setzte sich wieder auf das Bett, einen Schuh in der Hand. Er starrte auf den Teppich mit dem Rankenmuster, das schon beinahe mit dem grauen Hintergrund verschmolzen war. Der Fall war ihm nicht geheuer. Gefühle, die er in den hintersten Winkel seiner Seele verbannt hatte, drohten wieder hervorzubrechen.
    Er band seinen Schnürsenkel zu und ging zum Spiegel hinüber; er betrachtete sich darin und fragte sich zum hundertsten-, nein, zum tausendstenmal, warum er eigentlich Polizist geworden war und warum er seinen Beruf nicht schon längst wieder an den Nagel gehängt hatte. Er fragte sich auch, ob er, unterbewußt zumindest, nicht Superintendent Racer in die Hände arbeitete, damit diesem sein Posten als Kriminalrat erhalten blieb, obwohl Jury schon längst hätte nachrücken sollen. Während er in den Spiegel schaute, fiel ihm auf, daß er wie ein Bulle oder zumindest wie das Klischee eines Bullen aussah: groß, massig, dunkler Anzug, gediegen. Wie ein Bulle oder wie die Bank von England.
    Wie immer, wenn er deprimiert war, konzentrierte er sich auf seine Garderobe, auf jedes Detail, als könne sich der Frosch in einen Prinzen verwandeln, wenn er zum Beispiel das Taschentuch von der einen in die andere Tasche steckte.
    Die Verwandlung trat nicht ein. Warum zum Teufel trug er immer noch diese alte blaue Krawatte? Weg damit. Er riß sie herunter, zog sein Jackett aus und schlüpfte in einen dicken Wollpullover, über dem er eine Windjacke tragen konnte. Vom Bettpfosten nahm er einen irischen Sporthut und drückte ihn sich in die Stirn. Was war nur in ihn gefahren, warum posierte er vor diesem Spiegel und zog sich ständig um wie ein Mädchen vor seinem ersten Ball? Fehlten nur noch ein paar Hunde und ein Spazierstock, und die Wanderung übers Moor konnte beginnen.
    Ein Bild tauchte vor seinem geistigen Auge auf, verschwand aber sofort wieder; etwas, was am Rand eines Schwimmbeckens kurz aufblitzte und versank; ein Name, der einem auf der Zunge lag; ein flüchtig wahrgenommenes Gesicht; ein Traumbild, das sich nicht festhalten ließ. Anscheinend hatte der Blick in den Spiegel es heraufbeschworen. Er wiederholte alle seine Gesten, aber das Bild kehrte nicht wieder zurück. Er wußte, daß dieses Detail ihn ein großes Stück weiterbringen würde, wenn er dessen nur habhaft werden könnte.
    Er

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