Inspektor Jury spielt Domino
denn sie kam ohne Umschweife zur Sache. «Sehen Sie, Gemma hat meinen Wagen geborgt, weil sie ihr Anfänger-Schild erst vor kurzem bekommen hatte. Sie wollte unbedingt diesen Ausflug machen, sagte aber nicht wohin und hatte Angst, mit ihrem Schild in eine Kontrolle zu geraten.» Sie bemerkte, daß Jury noch stand, sagte: «Oh, entschuldigen Sie!» und bedeutete ihm, auf einem quadratischen Etwas von einem Sessel Platz zu nehmen. Der Überzug jagte ihm kalte Schauer über den Rücken. «Und so kam es, daß man meinen Wagen dort fand.»
«In Rackmoor. In Yorkshire.»
«Ja, richtig. Vor zwei Tagen war auch ein Polizist aus Yorkshire hier. Sie sind also nicht der erste.»
Jury mußte lächeln. Es klang, als habe sie den Verlust ihrer Unschuld eingestanden. Er zog das Bild, das ihm Harkins gegeben hatte, aus der Tasche. «Ist das Gemma Temple?»
«Ja, das könnte sie sein. Obwohl da zuviel Sonne im Gesicht ist. Doch, das ist Gemma.»
Jury nahm den Schnappschuß wieder an sich. «Sie sagten, Sie wüßten kaum was über ihre Vergangenheit, nur daß sie mal eine Familie namens Rainey erwähnt hat.»
«Das stimmt. Ich glaube, sie hat sie ein paarmal besucht, als sie bei mir wohnte.»
«Wie haben Sie Gemma kennengelernt?»
«Durch eine Annonce. Ich brauchte jemanden, mit dem ich die Miete teilen konnte.» Sie blickte unsicher um sich. «Obwohl die Wohnung nicht so groß ist, nur dieses Zimmer hier und ein Schlafzimmer, aber immerhin besser als nur ein Wohnschlafzimmer, das müssen Sie zugeben.»
«Sie ist viel besser als meine. Zigarette?» Er reichte ihr seine Schachtel.
Sie war offenbar keine starke Raucherin, denn sie schaute das Päckchen an, als wäre es eine exotische Vogelart. Schließlich nahm sie sich vorsichtig eine Zigarette, beugte sich ebenso vorsichtig vor und schob mit der einen Hand ihre Haare zurück, um sie vor dem Feuer, das Jury ihr anbot, zu schützen. Dann lehnte sie sich zurück und blies zaghaft kleine Rauchwölkchen in die Luft, wobei sie die Zigarette zwischen Daumen und Zeigefinger hielt. Sie sah inzwischen ganz entspannt aus, als hätte sie eine Opiumpfeife geraucht; kreuzte ihre Beine und wippte mit dem Fuß, der in einem pelzgefütterten Pantoffel steckte. Das Bild von einem kleinen Mädchen, das mit Mamas Make-up und Zigaretten spielt, war perfekt.
«Also, sie kam auf Ihre Annon…»
«Ja.»
«Sagen Sie, haben Sie Gemma gemocht? Sind Sie gut miteinander ausgekommen?»
Sie sah ihn an und wandte den Blick wieder ab. «Nun, wir hatten keine Streitigkeiten in dem Sinne, wenn Sie das meinen, aber ich mochte sie nicht besonders. Und sie war, wenn es um sie selber ging, nicht sehr gesprächig. Ich hätte Referenzen von ihr verlangen müssen, nicht wahr?» Aus großen Augen blickte sie Jury entschuldigend an, als könnte er sie wegen ihrer Dummheit bestrafen.
«Nachträglich ist man immer schlauer, Josie. Auf diese Weise habe ich schon Hunderte von Fällen gelöst. Glauben Sie, Gemma Temple hatte überhaupt Referenzen vorzuweisen, oder war sie eine von denen, die so in den Tag hinein leben?»
Sie beugte sich etwas vor und senkte die Stimme, als hätte sie Angst, ihre Mama könnte jede Minute um die Ecke kommen und entdecken, daß sie hinter der Scheune rauchte und über Dinge redete, über die man nicht spricht. «Ich würde sagen, in den Tag hinein leben ist viel zu nett ausgedrückt. Sie brachte Männer herauf. Und soweit ich weiß, nicht zweimal denselben. Ich lag da drin im Bett und hörte alles …» Josie lehnte sich zurück. Sie schien darüber nicht empört, sondern einfach nur fassungslos zu sein. «Tatsache ist, daß Gemma mir sagte, sie sei Schauspielerin. Ich glaube aber, daß sie höchstens mal eine winzige Rolle in einem dieser Theater gehabt hat, die eigentlich nur eine Lagerhalle sind, wo die Stühle vor jeder Vorstellung erst aufgestellt werden. Also keineswegs was Großartiges. Gemma hat auch nie wirklich gearbeitet. Aber von Zeit zu Zeit bekam sie Geld …»
«Sie wollen sagen, sie ging anschaffen? Richtig?»
Josie nickte und konzentrierte sich erneut auf die Glut ihrer Zigarette, als versuche sie, Routine zu bekommen.
«Sagte sie nie etwas über ihre Vergangenheit?»
Sie schüttelte den Kopf.
«Warum haben Sie ihr dann Ihren Wagen gegeben, wenn Sie ihr nicht trauten?»
Sie ging sofort in die Defensive. «Nun, ihr Wagen war ja so viel besser, nicht wahr? Und sie schrieb mir auch so eine Art Quittung aus. Darin steht, daß ich, wenn mit meinem irgend etwas
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