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Inspektor Jury spielt Domino

Inspektor Jury spielt Domino

Titel: Inspektor Jury spielt Domino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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Gebäude gewesen zu sein, das man vor längerer Zeit in der Mitte durchgetrennt hatte. Zusammen hätten sie ein normales Backsteingebäude ergeben. Sie ähnelten sich wie Spiegelbilder, und Melrose wäre nicht erstaunt gewesen, das Duplikat des Mädchens rechts nebenan auf der Treppe sitzend vorzufinden.
    Er blieb stehen, stützte sich auf das niedrige, halb verwitterte steinerne Treppengeländer, an das sich das Mädchen mit dem Rücken anlehnte. Sie saß auf einer Stufe, das eine Bein angewinkelt, das andere ausgestreckt, ihre hautengen Jeans zur Schau stellend, Jeans, die in nackten Fesseln und Pfennigabsätzen ausliefen. Darüber trug sie eine ziemlich locker sitzende Strickjacke; die Ärmel waren hochgekrempelt, die oberen vier Knöpfe waren offen, und der Ausschnitt war tief heruntergezogen. Ihre Kleider klebten an ihr wie ein Badeanzug. Sie hätte nur die Stöckelschuhe aus- und eine Badekappe überziehen müssen, um für eine Kanaldurchquerung gerüstet zu sein. Die Kappe wäre eigentlich nicht nötig, denn sie würde nur die schönen Shirley-Temple-Locken verbergen. Ihre Haare waren seidig braun, ganz natürlich – ihre eigenen, er verstand etwas davon. Sie wirkten wie ein Überbleibsel aus ihrer Kindheit, wie etwas, was sie nicht bändigen, nicht in sich auslöschen konnte. Es war merkwürdig, dieser Haarschopf ließ alles übrige an ihr – die Pose, das ganze Sexgehabe – wie eine Verirrung erscheinen, während das kleine Mädchen wie Phönix aus der Limehouse-Asche stieg.
    «Ich heiß Betsy», sagte sie, stand auf, wischte ihre Pobacken ab, drehte sich um und stieg die Hüften wiegend die Treppe hoch. Er blieb stehen. Als sie merkte, daß er ihr nicht folgte, machte sie eine ungeduldige Handbewegung. «Na, komm schon, Schatz!»
    Melrose folgte ihr.
    Hinter der Tür befand sich ein langer, dunkler Flur, der mit altem Linoleum – verwelkte Rosen auf grauem Hintergrund – ausgelegt war. Von der Decke hing an einer langen Schnur eine Birne mit einem fliegenverdreckten Schirm. Er fragte sich, ob sich hinter den Türen, die rechts und links abgingen, noch weitere Betsys verbargen. Eine Tür ging auf, eine rote Haarmähne erschien, erfaßte, was vorging, und verschwand wieder.
    Betsy führte ihn in das erste Zimmer links; in ebendas mit dem hohen, schmalen Fenster. Es blickte auf ein Lagerhaus. Wie zu erwarten, wurde das Zimmer von einem enormen Bett beherrscht. Melrose verschlug es den Atem – eine Antiquität, Tudor oder Renaissance, ein Himmelbett mit Intarsieneinlagen. Außer dem Bett gab es noch einen Toilettentisch mit einem dreiteiligen Spiegel, von dem die hellgrüne Farbe teilweise abblätterte, eine Kommode nicht identifizierbarer Herkunft und einen einzigen, bemalten Stuhl. Auf der schmuddeligen Tapete krochen kleine gebundene Sträußchen auf und ab, als wollten sie längst verblaßte Erinnerungen an Blumenmädchen wachrufen.
    Mit der einen Hand schloß sie die Tür, die andere streckte sie mechanisch nach ihm aus – ohne Zweifel, um etwas zu entfernen. «Warum nimmst du deine Brille nicht ab? Du hast hübsche Augen, grün wie eine Flasche Abbot.»
    Er glaubte nicht recht, daß das zur Routine gehörte – Komplimente waren hier wohl kaum notwendig. Sie lächelte ein wenig, was ihre Kindlichkeit nur betonte: Sie hatte ganz kleine Zähne, von denen einer fehlte.
    Als er ihre Hand beiseite schob (wohl wissend, daß sie ihm nach der Brille auch noch andere Sachen abnehmen würde), zuckte sie mit den Schultern und wandte sich ab. «Mach dir’s bequem.» Sie warf sich aufs Bett und begann, an ihren Jeans zu zerren. Ihr Blick verfinsterte sich, was nicht ihm, sondern den Jeans galt, die an ihrem Körper klebten. Es war klar, daß sie sich hinlegen mußte, um sie überhaupt ausziehen zu können. «Komm her, Schatz, hilf mir aus den verdammten Hosen raus.» Sie hatte sie bereits so weit runter, daß er ihr geblümtes Bikinihöschen sehen konnte.
    «Betsy, wäre es möglich, daß wir uns unterhalten?»
    «Unterhalten?» Sie hörte mit dem Gezerre auf und sah ihn an, als finde sie die Idee ganz neu und ziemlich ausgefallen. «Über was denn?» Sie kämpfte ungeduldig weiter mit ihren Hosen: Sie brauchte beim Jeans-Ausziehen genauso Hilfe wie John Wayne beim Umgang mit seinen Stiefeln. Melrose fragte sich, ob sie das je allein schaffte; aber das muß sie wohl auch nie, dachte er dann.
    «Ich suche jemanden.»
    Uninteressiert zuckte sie die Achseln, gab die Sache mit den Hosen auf und wandte sich den

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