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Inspektor Jury spielt Domino

Inspektor Jury spielt Domino

Titel: Inspektor Jury spielt Domino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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gesehen.»
    «Wo?»
    Die Dicke nahm eine gebleichte Haarsträhne zwischen ihre kirschroten Lippen und kaute sichtlich angestrengt darauf. «Ich muß nachdenken.»
    Das, dachte Melrose, mußte an sich schon anstrengend sein. Sie schnalzte mit ihren Wurstfingern. «Das war im ‹Sun …›» Sie schlug sich mit der Hand auf den Mund. Dann setzte sie ein geziertes Lächeln auf und fragte: «Krieg ich den Fuffziger, wenn ich Ihnen sage, wer sie kennt?»
    «Fünfundzwanzig», sagte Melrose. «Und die Person, die etwas über sie weiß, bekommt die restlichen fünfundzwanzig. Das ist doch fair.»
    Aber weder die Schwarze noch der Rotschopf fanden das – sie schienen zu glauben, daß sie allein durch ihre Verbindung zu der Dicken eine Belohnung verdient hätten. Er gab beiden eine Fünfpfundnote, und ihre Gesichter leuchteten auf. Die Dicke nahm ihre fünfundzwanzig Pfund und stopfte sie in den Wulst ihres Strumpfes. «Jane Yang kennt sie. Sie arbeitet im Restaurant. Da hab ich die hier auch gesehen. Als Bedienung im ‹Sun Palace›. Kann sein, daß sie auch auf den Strich geht, weiß ich aber nicht genau. Aber Jane Yang kann’s Ihnen sagen.»
    Melrose stand auf. «Ich danke Ihnen. Was kann ich Miss Yang sagen, wer hat mich geschickt?»
    «Sagen Sie einfach die dicke Bertha, dann weiß sie Bescheid.»
    «Dicke Bertha. In Ordnung, danke.» Die Mädchen standen alle an der Tür herum. Zu Betsy sagte er: «Ist das Ihr Bett?» Er griff nach seinem Spazierstock mit dem Silberknauf und schob seinen Mantel zurecht.
    Sie schaute verdutzt. «Ich hab doch drauf gelegen, oder? Ja, es ist meins.»
    «Ich meine, gehört es Ihnen?»
    «Nein, der Wirtin.»
    Melrose konnte sich vorstellen, wovon die Wirtin lebte. «Denken Sie, sie würde es verkaufen?»
    «Sicher, die würde ihre Großmutter verkaufen, wenn sie eine hätte.»
    «Was glauben Sie, wieviel sie verlangen würde?»
    «Wieso, wollen Sie’s haben? Für fünfzig bis sechzig hat sie’s mir schon angeboten.»
    «Nein, ich will es nicht. Aber wenn Sie fünfzig aufbringen können, kaufen Sie es, Betsy.» Er zog seine Visitenkarte hervor, schrieb einen Namen auf die Rückseite und gab sie ihr. «Dann rufen Sie diesen Herrn an und lassen es schätzen. Ich weiß es zwar nicht genau, aber ich glaube, daß Sie leicht tausend dafür bekommen können.»
    Ihre großen Augen wurden noch größer. «Wollen Sie mich auf ’n Arm nehmen?» Er schüttelte den Kopf. «Heiliger Strohsack!» Die Mädchen standen an der Tür Spalier, als er an ihnen vorbeiging. Betsy schlang ihre Arme um ihn und küßte ihn. Die anderen kicherten.

4
    Das Klingeln des Telefons vermischte sich in Jurys Traum mit dem traurigen Wehklagen des Whitby Bull. Als er die Augen endlich aufbekam und zum Fenster sah, wunderte er sich, warum draußen kein Nebel war. Er tastete nach dem Telefon neben seinem Bett.
    «London hat Glück.» Die Stimme Chief Superintendent Racers tönte aus der Muschel. «Sie sind zurück, die Frage ist nur, warum Sie noch immer nicht hier sind, um Bericht zu erstatten. Wenn Sergeant Wiggins nicht wäre, der sich Gott sei Dank nicht nur die Nase putzt, sondern gelegentlich auch hier anruft, hätte ich keine Ahnung, wo Sie sich rumtreiben.»
    Jurys Wecker auf dem Nachttisch zeigte zehn Minuten vor acht. War Racer schon so früh im Büro? Jury nahm die Uhr und schüttelte sie. «Ich muß nach Lewisham, Sir …»
    «Von mir aus können Sie nach Lewisham oder auch zur Hölle gehen, Jury, aber vorher kommen Sie hierher. Ich will, daß Sie innerhalb der nächsten Stunde hier auftauchen. Machen Sie sich also auf die Socken.» Das Telefon verstummte.

5
    Fiona Clingmore war eine blasse Blondine, die Schwarz bevorzugte. Heute trug sie einen engen, schwarzen Pullover, der in einem engen, schwarzen Rock steckte. Sie war Racers Sekretärin und Mädchen für alles. Jury hoffte nur, daß sie nicht auch für anderes mißbraucht wurde.
    Fiona lebte in den vierziger Jahren. Sie wirkte wie eine Figur aus einem alten Theaterstück, die sich auf eine moderne Bühne verirrt hatte. Jedesmal, wenn er sie ansah – ihre altmodische Frisur, ihre rot nachgezogenen Lippen, ihre Pillbox-Hüte, die sie mit Vorliebe trug –, überkam Jury ein nostalgisches Gefühl, das er sich nicht ganz erklären konnte. Ein paarmal schon hatte er Fiona zum Essen ausgeführt und dabei insgeheim gehofft, daß etwas von dieser Vergangenheit auf ihn abfärben würde. Immer wenn er die Rede auf den Krieg brachte, tat sie so, als hätte sie keine

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