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Inspektor Jury spielt Domino

Inspektor Jury spielt Domino

Titel: Inspektor Jury spielt Domino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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tadellose Schnitt seines Anzugs aus der Savile Row. «Einzelgänger zu sein ist nicht gut, Jury. Ein Polizist muß im Team arbeiten. Sie wissen, meine Politik ist, zwei Männer bei jeder Ermittlung. Wie würde es in diesem Land aussehen, wenn die Premierministerin überall selbst hinrennen würde, statt einen Untergebenen zu schicken.»
    «Ich wußte gar nicht, daß Sie mich so hoch einschätzen», sagte Jury und lächelte.
    «Sehr witzig!» Racer spuckte einen Tabakrest aus. «So meine ich das nicht, aber Sie spielen sich ganz schön auf, nicht? Zu dumm, daß Sie nicht mehr Ehrgeiz haben.»
    Jury ahnte, woher der Spruch über den Ehrgeiz kam. «Ist noch mal über meine Beförderung gesprochen worden?»
    «Ja, der Vize hat Sie erwähnt.» Es klang neidisch.
    Jury machte sich nicht die Mühe zu lächeln. Als Racer, die Daumen in die Westentasche gesteckt, von seinem Schreibtisch aufsah, wußte Jury, daß jetzt der Vortrag kam. Die Abrechnung. Racer würde in blumigen und klischeegeschwängerten Worten Jurys gesamte Laufbahn bis ins kleinste analysieren. Er fing damit an, daß er um seinen Schreibtisch herumwanderte, wobei die rote Nelke in seinem Knopfloch bei jedem seiner federnden Schritte erzitterte.
    Während Racer sich endlos über Jurys Schwächen ausließ, starrte Jury aus dem Fenster und über die verrußten Schornsteine hinweg, zwischen den hohen Gebäuden hindurch, wie durch einen Tunnel, an dessen Ende ein kleines Stück von der Themse zu sehen war. Der Himmel war taubengrau, und ein paar Schneeflocken schmolzen auf der Scheibe.
    «… Geben Sie auf, Jury, wenn Sie keine Beförderung anstreben.» Er hielt in seiner Wanderung inne und bedachte Jury mit einem dünnen Lächeln. «Oder haben Sie kalte Füße bekommen, liegt es daran?»
    Jury hatte keine Lust, darauf einzugehen. «Ich werde es tun. Irgendwann mal.»
    «Irgendwann mal? Irgendwann mal? Warum nicht jetzt? Wenn ich an Ihrer Stelle wäre …»
    Er tönte weiter. Jury nahm an, daß dieses fürsorgliche Gerede Racer im Grunde nur als Vorwand diente, über seine eigene, ziemlich steile Karriere zu sprechen. Es gelang ihm immer, sie hier und da noch aufzupolieren, indem er sie mit Jurys verglich. Racer schien zu vermuten, daß Jury sich vor einer Schlappe fürchtete; Jury war jedoch nur seiner eigenen Unschlüssigkeit wegen noch nicht vor dem Beförderungsausschuß erschienen.
    Der Vortrag über Jurys Karriere war ein jährliches – vor einiger Zeit noch halbjährliches – Ritual. Es war vielleicht ein wenig abartig, aber Jury genoß Racers Verhalten. Es faszinierte ihn, welch übertriebene Bedeutung Racer diesem Thema, über das er so gerne sprach, beimaß. Die schwierige Balance zwischen Wort und Handlung hielt Racer beinahe tänzelnd. Wie ein Mann, der ein Ziergitter hochsteigt und immer neue Löcher für Zehen und Fingerspitzen im Ornament findet. Seit der Vizekommissar sich um Jurys Zukunft kümmerte, mußte Racer immer neue Gründe finden, dagegen anzugehen. Warum er das tat, war aber nicht einfach mit Rachsucht zu erklären. Jury fragte sich manchmal, ob Racer in ihm nicht sein jüngeres Ebenbild sah, ein unbeschriebenes Blatt, auf dem er seine Fehler vermerkte, um sich ihrer zu entledigen.
    Racer sprach noch immer, während er im Raum auf und ab ging. Über seiner buntkarierten Weste erblühte, wie eine seltene Blume, eine Krawatte, in der eine Saphirnadel steckte. Das verschönte aber nur seine Kleidung. Woher er nur das Geld hatte? Jury erinnerte sich, gehört zu haben, daß Racers Frau vermögend war. Racer blieb vor einem Gemälde stehen. Es war eins der beiden schlechten Bilder, die er aus Regierungsbeständen erstanden hatte; eine erbärmliche Skizze von Westminster Bridge. Mit dem Rücken zu Jury fing er an, alle Fälle aufzuzählen, die Jury im Laufe der Zeit bearbeitet hatte; bei einem Fall, den Jury vor Jahren verpfuscht hatte, hielt er sich besonders lange auf. Das war so seine Art: Er brütete über Jurys Fehlern, als wären sie Gemälde, die er mit Muße bis in alle Einzelheiten untersuchte.
    «… Ich wäre Ihnen also sehr verbunden, wenn Sie mir Bericht erstatten würden. Sie brauchen nur den Hörer abzuheben und zu wählen.»
    Racer machte mit dem Zeigefinger eine kleine Kreisbewegung in der Luft. «Es ist ganz einfach. Sie werden nie Superintendent werden, wenn Sie die Spielregeln der Teamarbeit nicht einhalten, Jury.»
     
    Jury verließ Racers erfrischende Gesellschaft und suchte Fiona Clingmore auf, die gerade dabei war,

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