Inspektor Jury spielt Domino
die Fortsetzung des anderen. Der Hund lag ausgestreckt auf den Kacheln vor dem Kamin, in dem elektrische Holzscheite glühten. Um Victor Merchents Füße, die in Hausschuhen steckten, waren die Seiten der Times drapiert. Er selbst war in die Wettergebnisse vertieft.
Fanny Merchent saß aufrecht in der Mitte der Couch. Sie schien für die Unterbrechung der täglichen Routine empfänglicher zu sein als ihr Ehemann.
Das Wohnzimmer in der Ebury Street war – genau wie Victor – vollgestopft. Die Einrichtung war ein Sammelsurium von Stilmöbeln und modernen Einrichtungsgegenständen schlimmster Art; nicht die leiseste Spur von dem üblichen Chintz-Charme englischer Wohnzimmer. Zudem war Mrs. Merchent eine Liebhaberin von Nippes. Diverse Mitbringsel aus Brighton, Weston-super-Mare, Blackpool und aus anderen Badeorten der Mittelklasse füllten Fensterbretter und Regale. Seemuscheln, gerahmte Erinnerungsfotos und Alben, sentimentale Relikte eines langen Lebens, überfluteten alle Tische. Den Kaminsims über dem schlafenden Hund zierten unzählige Porzellanfigürchen.
«Sie fragten nach dem Sohn meiner Schwester, Inspektor. Olive war kurz vor Weihnachten hier. Sie trägt ihr Kreuz wie eine aufrechte Christin.»
Jury tat so, als wäre das Interesse an der Mutter rein nebensächlich und der ausschließliche Grund seines Besuches, einige Informationen über Olive Mannings Sohn zu bekommen.
Victor Merchent blickte von der Wettliste auf: «Ist sie nicht immer um Weihnachten hier?» Seine Unterlippe schob sich vor, und seine Mundwinkel verzogen sich nach unten, um zu zeigen, was er von Olives Besuchen hielt.
«Aber Vic, ich bitte dich! Wenn ich mir deine Familie ansehe!»
«Von denen lebt keiner auf Kosten der anderen, gib’s zu, mein Schatz!» Er nahm wieder seine Zeitung auf. «Und wo bleibt mein Tee?»
«Kannst du nicht fünf Minuten warten, Vic?»
«Ich will meinen Tee zur gewohnten Zeit haben.» Er blickte Jury mürrisch an.
«Sie sagten eben, Inspektor …»
«Der Sohn Ihrer Schwester ist in einer Anstalt?»
Bevor die arme Frau antworten konnte, schaltete sich ihr Mann ein: «Irrenanstalt. Der ist ja nicht ganz dicht.» Er stupste sich gegen die Stirn.
«Vic, das ist wirklich nicht nett. Er ist schließlich dein Neffe.»
«Ein angeheirateter.» Sein Blick ließ keinen Zweifel daran, daß derartige Krankheiten nur in ihrer Familie lagen.
Zu Jury sagte sie: «Es war eine Tragödie. Der Junge hatte vor langer Zeit mal einen Nervenzusammenbruch. Olive kommt mehrmals im Jahr hierher, um ihn zu besuchen. Eine unglaublich teure Anstalt, aber sie will es nicht anders. Leo bekommt die beste Behandlung, die es gibt.»
«Das muß Mrs. Mannings Geldbeutel ganz schön belasten.»
Das war für Victor das Stichwort, sich erneut einzuschalten: «Unseren Geldbeutel. Unsere liebe Verwandte, die meint, was Besseres zu sein, kommt hierher, ißt unser Essen, trinkt unseren Whisky.» Victors Augen wanderten zu einem kleinen Schrank neben dem Fenster. «Nehmen Sie ein Schlückchen, Inspektor?» Mit Daumen und Zeigefinger deutete er seiner Frau an, wie winzig das Schlückchen sein würde. Diese unerwartet freundliche Geste diente offensichtlich dazu, selbst in den Genuß eines Schlückchens zu kommen. Lehnte er den Drink ab, würde Victor seine Mitarbeit aufkündigen. «Danke, ich nehme einen. Aber wirklich nur einen kleinen.»
Victor grinste. «Ich leiste Ihnen Gesellschaft. Ich sage immer, allein trinken ist nix.» Er erhob sich, ging zum Schränkchen und machte die untere Tür auf. «Wie steht’s mit dir, Mutter? Ein Glas Sherry vielleicht?»
Ihre Miene zeigte, daß sie einen Drink zu so früher Stunde nicht billigen konnte. Sie schüttelte den Kopf. Als Victor Merchent mit der Flasche und den Gläsern zurückkam, wurde er fast freundlich. Ermunternd sagte er zu Jury: «Schießen Sie los, Inspektor. Sie sagten eben, daß Leo …» Er drückte Jury ein Glas in die Hand.
«Wie dachte Mrs. Manning über die Craels? Ich meine, damals?»
«Ich fürchte, ich habe Ihre Frage nicht verstanden», sagte Fanny.
«Fangen wir doch mit deren Mündel an. Vielleicht erinnern Sie sich noch an das Mädchen. Dillys March. Sie ist offenbar vor fünfzehn Jahren weggelaufen.»
«Die!» zischte Fanny. «Natürlich erinnere ich mich an sie. Olive hat das Mädchen gehaßt. Wissen Sie, sie gab ihr die Schuld an allem, was mit Leo passiert ist.»
«Wer ist diese Dillys March, wenn sie nicht gerade von zu Hause wegläuft?» fragte Victor,
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