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Inspektor Jury spielt Domino

Inspektor Jury spielt Domino

Titel: Inspektor Jury spielt Domino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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wegging, muß sie Ihnen doch etwas gesagt haben.»
    Erneut bewegte sich ihr schwarzes Haar. «Nein, ich sah ihn nur.»
    «Sie sahen ihn?»
    «Ja. Er kommen ins Restaurant. Sehr vornehm war er.» Sie musterte Melrose von oben bis unten. «Wie Sie.» Sie lächelte.
    «Der Prinz.» Als Melrose fragend die Augenbrauen hochzog, sagte sie: «So hat sie ihn genannt: Der Prinz. Es war Spaß. Aber er sah aus …» Sie schien nach Wörtern zu suchen, und dabei fielen ihre Augen auf ein Bild über der Kasse, das zu dem Drachendekor des Restaurants überhaupt nicht paßte. Es war eine Reproduktion des Gemäldes von Millais, das dieser für den Seifenfabrikanten Pears gemalt hatte. «Wie er. Ich meine, der Prinz so ausgesehen haben muß, als er klein war.»
    Die Beschreibung paßte genau auf Julian Crael. Ein wunderschönes Kind in grünem Samtanzug mit langen, goldenen Locken: Genauso mochte Julian einmal ausgesehen haben.
    «Kam er hierher, um sie zu treffen?»
    Sie nickte. «Er kommen hier mit ihr. Sie aufhören zu arbeiten hier, wissen Sie. Ich glaube, sie ihn den anderen Mädchen zeigen wollen. Der Prinz aber verlegen. Der Gentleman ein anderes Leben gewöhnt.»
    Melrose mußte über ihre knappe, sehr anschauliche Ausdrucksweise lächeln.
    «Hat sie Ihnen erzählt, wohin sie gehen würde?»
    Sie überlegte, und ihre makellose Haut kräuselte sich. «Da war was. Sie mir sagen, er wohnen in elegantem Hotel …» Sie schüttelte den Kopf. «Ich kann Namen nicht erinnern.»
    In diesem Augenblick stürmte ein kleiner Mann aus der Küche, der der Zwillingsbruder der kleinen alten Frau hätte sein können. Als er sah, daß Jane sich mit einem Gast unterhielt, ließ er eine Tirade auf chinesisch los, wobei er heftig gestikulierend auf die Kasse zeigte. Im Laufe ihrer Unterhaltung war die Schlange an der Kasse mal kleiner, mal größer geworden, hatte sich aber niemals völlig aufgelöst. Zu ihrer Rechten waren die Küchenschwingtüren in ständiger Bewegung. Der Lärm, der aus der Küche kam, übertönte sogar den Lärm, den die Gäste machten. Wahrscheinlich waren sie in der Küche dabei, Hühner zu schlachten, dachte Melrose.
    «Entschuldigung», sagte sie zu Melrose. «Papa sehr böse, ich verlassen die Kasse. Ich muß gehen.»
    Melrose zog eine Visitenkarte hervor und schrieb ihr mit seinem goldenen Füllfederhalter sowohl die Nummer seines Hotels als auch die vom Old House auf. «Hören Sie, sollte Ihnen noch etwas zu dieser Gemma Temple einfallen, ihrem Leben, ihrer Familie –» Jane Yang schüttelte den Kopf. «Sie hat keine. Ich glaube, sie im Heim groß geworden. Das war alles, was sie mir sagen.»
    «Und Sie können sich auch nicht an das Hotel, in dem er wohnte, erinnern?»
    Sie waren wieder an der Kasse, und das Mädchen löste ihre Mutter ab. «Wenn ich mich erinnere, ich anrufen.» Sie zog ihre türkisfarbenen Schultern hoch, und auf ihrem Gesicht erschien ein Lächeln, das ihr Gesicht, die Maske aus Porzellan, aufblühen ließ wie eine Lotusblüte auf einem blauen See. Sie war wirklich sehr hübsch, aber so zerbrechlich, daß ein Mann Angst haben mußte, sie anzufassen. «Entschuldigung», sagte sie erneut und zuckte mit den Schultern.
    Melrose drehte sich um und ging. Er hatte bereits die Hand an der Tür, als er durch den Lärm der Gäste hinter sich ihre Stimme vernahm: «Mister!» Sie winkte ihn mit einem breiten Lächeln zurück. Als er am Tresen ankam, sagte sie: «Ich hab’s. Das Hotel. Sawry. Das ‹Sawry Hotel›.»
    Sie sprach es fast wie «sorry» aus, das «r» kaum hörbar. Melrose grinste. Nur die grimmigen Blicke der Gäste hielten ihn davon ab, ein weiteres Mal seine Brieftasche zu zücken. Er dachte, sie könnten sich vielleicht alle auf einmal auf ihn stürzen, also verließ er das Restaurant.
    Als er draußen war, fing er an, den «Limehouse Blues» zu pfeifen.

9
    Das Hotel «Sawry» war eines dieser gutgehüteten Geheimnisse von London; die klugen Besitzer wußten, was passieren würde, wenn das Geheimnis publik würde. Es war nicht billig; außerordentlich teuer war es allerdings auch nicht. Geld schien hier einfach kein Thema zu sein, als lasse Erlesenheit sich nicht in Zahlen ausdrücken.
    Als die Tür kaum hörbar hinter ihm ins Schloß fiel, wurde Melrose von einer Woge der Wehmut überwältigt. Vor mehr als dreißig Jahren waren seine Eltern mit ihm zu Weihnachten hierhergefahren, und nichts, aber auch gar nichts hatte sich in der Zwischenzeit verändert. Das «Sawry» hielt an seiner

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