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Inspektor Jury sucht den Kennington-Smaragd

Inspektor Jury sucht den Kennington-Smaragd

Titel: Inspektor Jury sucht den Kennington-Smaragd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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gehören schien. Jury lehnte sich gegen den Zaun und blickte auf die fernen Umrisse der Eschen und Eichen, die den Wald von Horndean auf dieser Seite säumten. Ihm war ganz schlecht bei dem Gedanken an all die Fragen, die er ihr stellen mußte.
    Als sie dann wieder auftauchte, betrübter als zuvor, waren vielleicht fünfzehn oder zwanzig Minuten vergangen; Jury kam es wie eine Ewigkeit vor. «Der Kiefer ist gebrochen, ein ziemlich komplizierter Bruch, und das Becken ist ausgerenkt oder so was Ähnliches. Man wird ja nie schlau aus dem, was die einem erzählen. Eine teure Angelegenheit. Hundert Pfund oder mehr, meinte er und wiederholte ständig, es sei einzig und allein meine Entscheidung.» Sie stand neben ihm am Zaun und starrte in die Ferne, auf die Schafe und Kühe, die vor dem Wald von Horndean grasten. Sie runzelte die Stirn, als wären sie ihr eine Erklärung schuldig, als hätte das gesamte Tierreich sie im Stich gelassen.
    «Sie hätten sie wohl auch einschläfern lassen können. Das wollte er doch damit sagen, oder?»
    «Er vermittelte mir eher den Eindruck, als wolle er die Katze retten.»
    «Aber es ist Ihre Katze. Wie heißt sie eigentlich?»
    «Tom oder so ähnlich. Es ist im Grunde auch nicht ‹meine› Katze.» Sie sah ihn immer noch nicht an; irgendwie wirkte sie so enttäuscht oder verärgert wie über einen Verwandten, der eines Tages davonläuft und dann ohne Erklärung für sein rücksichtsloses Verhalten wieder auftaucht. «Es ist nicht ‹meine› in dem Sinn, daß ich darüber entscheiden kann, ob sie leben soll oder nicht. Dazu kommt, daß ich sie nicht einmal besonders mag. Das macht die Sache nur noch schlimmer. Sie verstehen …» Sie blickte ihm nun direkt in die Augen, als wäre es von größter Wichtigkeit, daß er sie in diesem Punkt verstünde. «Man kann doch Dinge, die man nicht mag, nicht einfach aus dem Weg räumen lassen.» Ihr Ton war belehrend, als gehörte Jury zu den Leuten, die über Leichen gingen.
    Sie saßen nun wieder im Auto und fuhren durch die Wasserlachen auf dem Feldweg, daß der Schlamm links und rechts hochspritzte. Er wandte sich ihr zu, sah aber wieder nur das Kopftuch, unter dem ein paar helle Löckchen hervorlugten, während sie hartnäckig aus dem Fenster starrte. Sie schien mit den Hecken und Feldern kommunizieren zu wollen, und ihre Stimme war so verhangen wie die Landschaft, als sie wiederholte: «Ich mag diese Katze nicht einmal.»
    Jury äußerte sich nicht dazu.
     
     
     
    Stoningtons graue , quadratische Fassade erinnerte Jury an ein Gefängnis. Die große, eintönige Fläche wurde nur von einer monotonen Reihe länglicher, in Blei gefaßter Fenster unterbrochen, die den Eindruck vergitterter Luken erweckten. Strenges, düsteres Mittelalter. Die breite Treppe war von leeren, urnenförmigen Gefäßen flankiert. Links und rechts von der Auffahrt standen ein paar vernachlässigte Bäume, keine Blumenbeete, keine gepflegten Rasenflächen, nichts, was die Monotonie unterbrochen hätte. Und kein Lebenszeichen, weder von Mensch noch Tier. Direkt gegenüber auf der andern Straßenseite begann der Wald von Horndean, eine dunkle, schweigende, undurchdringliche Masse.
    Auf der Rückfahrt hatten sie sich dann schließlich vorgestellt; seine Position schien sie jedoch nicht besonders zu beeindrucken. Im Haus angelangt, hängte sie ihren Mantel über einen Kleiderständer aus Messing, nachdem sie sorgfältig die Wassertropfen abgeschüttelt hatte. Es hatte endlich aufgehört zu nieseln. In der riesigen Eingangshalle des Hauses war es eiskalt; sie gemahnte Jury mit ihren stuckverzierten Wänden und den kleinen Nischen für die Statuen an ein Kloster.
    «Ich hätte ein Feuer machen sollen», sagte sie und blickte auf die kalte Feuerstelle. «Aber in den übrigen Räumen ist es nicht so schlimm.» Ihre Stimme klang entschuldigend, als sei sie persönlich verantwortlich für die Kälte, als müsse sie ihren Besucher davor schützen. Sie führte Jury in einen sehr viel kleineren Raum, in dem es jedoch kaum wärmer war. Der Kamin sah genauso unbenutzt aus wie der in der Eingangshalle. Außer den vom Boden bis zur Decke reichenden Bücherregalen und viel kaltem Leder enthielt der Raum nichts, kein einziges Möbelstück, das gemütlich wirkte. Durch die Scheiben drangen ein paar schwache, kränkliche Sonnenstrahlen, die den Winter anzukündigen schienen. Die Fenster gingen auf eine Art Klosterhof oder Atrium hinaus, das eingeschlossen war von den Mauern des Gebäudes.

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