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Inspektor Jury sucht den Kennington-Smaragd

Inspektor Jury sucht den Kennington-Smaragd

Titel: Inspektor Jury sucht den Kennington-Smaragd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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schleppte sie Gabel und Buch zum Stall, in dem ein prächtiger Falbe stand, der anscheinend vor den Wagen gespannt werden sollte.
    Melrose setzte sich auf einen Ballen Heu und zündete sich eine dünne Zigarre an. «Ist er immer so?» Er fragte sich, was es wohl mit dem Buch auf sich hatte und warum ihr so viel daran lag, es nicht aus der Hand zu geben.
    «Ja.» Sie stapfte aus dem Stall zu den Futterbehältern hinüber und verschwand zur Hälfte in einem von ihnen, so daß von ihren Ausführungen über Dereks Unausstehlichkeit nur noch ein schwaches Echo zu hören war. Als sie den Eimer gefüllt hatte und wieder in den Stall kam, sagte sie: «Alle Jungen sind unausstehlich.»
    «Oh, da bin ich mir nicht so sicher. Sie können auch ganz nett sein. Schließlich werden aus ihnen einmal Leute wie ich.»
    Ihre Augen erschienen über der Stalltür und betrachteten ihn angewidert.
    «Hatte Katie O’Brien eigentlich keinen Freund?»
    «Warum müssen wir immer über Jungen sprechen? Ist doch bescheuert.» Sie ging wieder zu den Tonnen mit dem Futter zurück. Die Tonne, über die sie sich gerade beugte, war so groß, daß sie sich über den Rand hängen mußte, um an den Hafer am Boden zu kommen.
    «Soll ich dir helfen?»
    «Nein.» Ihre Beine baumelten in der Luft.
    «Für einen jungen Mann von gut zwanzig benimmt sich Derek Bodenheim schon reichlich seltsam.» Sie schleppte den nächsten Eimer in Shandys Stall und gab bei der Erwähnung von Dereks Namen ein paar Würgelaute von sich. «Ob er wohl ganz richtig im Kopf ist?»
    «Nein. Katie hat er auch immer geärgert. Sie haßte ihn.»
    «Hat er sie auch geneckt?» Melroses Interesse erwachte.
    «Ach, das Übliche. Hat sich von hinten an sie rangeschlichen, sie gepackt und versucht, sie zu küssen.» Sie erschauerte, während sie eine Gabel Heu in Shandys Heuraufe warf. «Sie sagte, er hätte einen ganz nassen Mund … Ich möchte lieber nicht davon reden.»
    Darauf folgte ein längeres Schweigen, nur von dem Scharren der Gabel unterbrochen. Melrose spürte jedoch ihr Interesse, auch wenn sie es nicht zugeben wollte. Er wußte, daß sie mit etwas hinter dem Berg hielt; es mußte mit dem Buch zu tun haben. «Laß uns mal so tun, als ob.»
    Keine Antwort; außer den Kaugeräuschen des Ponys ließ sich nichts vernehmen.
    «Als lebten wir in einem wunderschönen Land – sagen wir in einem Königreich. Rundherum grüne Felder und darüber ein amethystblauer Himmel.» Er stutzte; wie kam er auf den Amethyst? «Und du bist eine wunderschöne Prinzessin.» Er bemerkte, daß das Scharren aufgehört hatte. «Und ich –» Großer Gott, welche Rolle sollte er sich zuteilen? Warum hatte er sich die Geschichte nicht schon im voraus zurechtgelegt? Er wußte, er mußte etwas Abstoßendes verkörpern, damit sie anbiß. «Ich bin ein blöder, häßlicher, dummer Zwerg.»
    Eine Samtkappe und ein Paar Augen erschienen über der Stalltür. Hinter ihr kaute das Pony sein Futter, ohne sich von den Prinzessinnen und Zwergen beeindrucken zu lassen.
    «Ja, ich bin also ein unausstehlicher Zwerg, der allen möglichen Blödsinn anstellt in diesem Königreich. Ich klaue dem Bäcker die Obsttörtchen und Muffins aus den Regalen. Ich bin so klein – und natürlich auch so häßlich –, daß sie mich meistens gar nicht bemerken.» Er legte eine Pause ein, um nachzudenken und seine Zigarre wieder anzuzünden. «Und du bist diese herrliche Prinzessin, die im Königreich Nirgendwo lebt.» Melrose erwärmte sich allmählich für seine Geschichte und begann in dem kleinen Hof auf und ab zu gehen. «Deine Gewänder sind ungeheuer prunkvoll. Eines ist violett und mit Amethysten übersät.» Melrose warf ihr einen kurzen Blick zu, um zu sehen, ob seine barock-verschlungene Erzählung ihre Aufmerksamkeit erregte. Sie tat es. «Der Zwerg – das bin ich – ist sehr eingebildet. Ich hab einen Bruder, und der ist ein noch schlimmerer Zwerg –» Kam dieses kurze Schnauben von Emily oder dem Pony? «Noch eingebildeter. Obwohl er sich unmöglich benimmt, hält er sich für unwiderstehlich. Dabei ist er nicht größer als ein Tischbein; sein Kopf ist ganz platt, und die Backen treten gewaltig hervor –»
    «Vielleicht hat er Mumps.»
    Irritiert blieb Melrose stehen. «Zwerge haben nicht dieselben Krankheiten wie Menschen. Sie haben ihre eigenen. Er hat –»
    «Was zum Beispiel?»
    «Ist nicht wichtig. Er ist jedenfalls nicht krank; er ist einfach nur – unausstehlich.» Sie hatte ihn aus dem Konzept gebracht.

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