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Inspektor Jury sucht den Kennington-Smaragd

Inspektor Jury sucht den Kennington-Smaragd

Titel: Inspektor Jury sucht den Kennington-Smaragd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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umgeben.
    Eine kleine Brücke führte zur St.-Pancras-Kirche.
    Und mittendurch verlief der Bach des Bluts.





16
    Die Frau , die gerade aus der Eingangstür von Stonington gelaufen kam, als Jury auf der kreisförmigen Auffahrt anhielt, trug einen in eine Decke gehüllten Gegenstand. Als er über den knirschenden Kies auf sie zuging, rief sie: «Können Sie bitte mit mir zum Tierarzt fahren? Ich kann nicht gleichzeitig fahren und die Katze halten.»
    Aus dem einen Ende der Decke spitzte ein schwarzes, dreieckiges Katzengesicht hervor; ein winziges Blutgerinnsel verklebte das Fell zwischen Nase und Maul.
    «Natürlich – nur, können wir meinen Wagen nehmen? Sie halten die Katze, und ich fahre.»
    Sie schwieg, als er ihr die Tür aufhielt. Er stieß zurück, fuhr den langen Kiesweg hinunter und an einem niedrigen Pförtnerhäuschen vorbei. Als sie auf die Horndean Road kamen, fragte er: «Wohin?»
    «Nach links. Richtung Horndean.» Sie wandte den Kopf ab und schaute aus dem Fenster; so wurde jedes Gespräch unmöglich. Ein im Nacken geknotetes Tuch hielt ihr dunkelblondes Haar zusammen. Er wußte, daß Lady Kennington kaum noch Personal hatte – nur einen Gärtner und eine Köchin. Die Frau neben ihm schien weder das eine noch das andere; sie mußte also die Dame des Hauses sein. Jury war verwirrt. Er hatte eine gebieterische ältere Frau erwartet, hager und grauhaarig, vielleicht in einem Kleid aus lavendelfarbener Seide mit einer Kamee. Die Wirklichkeit entsprach überhaupt nicht diesem Bild.
    «Was ist mit der Katze los?»
    «Ich weiß es nicht. Vielleicht wurde sie angefahren, aber ich bin mir nicht sicher. Ich sah sie vor ungefähr einer Stunde die Auffahrt hochrennen, hatte aber nicht den Eindruck, sie sei verletzt.» Sie sah aus dem Fenster, als sie das sagte.
    Er drehte sich nach der Katze um, die ihn mit glasigen Augen anstarrte und einen schwachen Laut von sich gab, als teile sie mit Jury das geheime Wissen über das Schicksal von Katzen, die sich in einem solchen Zustand befanden. Die Gedanken der Frau neben ihm waren wahrscheinlich nicht weniger betrüblich.
    «Es sind ungefähr noch zwei Kilometer», sagte sie, und ihre Aufmerksamkeit galt den nebelverhangenen Feldern und Hecken, die an ihnen vorbeiflogen. Er konnte nur ein Stück Kopftuch sehen, nicht ihr Gesicht, aber das, was er gesehen hatte, ließ ihn vermuten, daß es ein schönes Gesicht war: blaß, grauäugig, intelligent. Er wäre nie auf den Gedanken gekommen, sie als «unscheinbar» zu bezeichnen, wie Sylvia Bodenheim das getan hatte.
    «Diese Katze fühlt sich schon ganz kalt an.» Sie hatte ihre Hand unter die Decke gesteckt. «Ich glaube, sie stirbt.» Das hörte sich sehr bedrückt an.
    «Das ist nur der Schock. Die Temperatur fällt etwas.» Jury hatte keine Ahnung, wie Katzen bei Schock reagierten; er kannte nur die menschlichen Reaktionen. Er sah nach den Augen der Katze, doch die waren fest geschlossen. «Sie schläft bestimmt nur.» Aber eigentlich sah sie eher tot aus.
    Sie antwortete nicht. Selbst die Luft zwischen ihnen schien von Elend erfüllt zu sein. Er hatte das Gefühl, sie und ihre Katze im Stich zu lassen. Es war einfach absurd. Anscheinend gehörte sie zu den Menschen, in deren Gegenwart man sich immer schuldig fühlt, ohne daß sie das überhaupt wollen.
    «Ist es Ihre Lieblingskatze?» Eine dumme Frage. Er verfluchte sich, während er eine scharfe Kurve nahm, die aus dem Nichts vor ihm aufgetaucht war.
    «Nein. Einfach nur eine zugelaufene alte Katze.»
    Jury sah aus dem Augenwinkel nach der Katze, so verstohlen, als könne sein Blick allein sie schon töten. Der Kopf hing so schlaff herunter wie der eines erlegten Fasans. Erwiderstand der Versuchung, sie anzustupsen, um zu sehen, ob sie noch lebte.
    Die Stimme der Frau klang irgendwie herausfordernd, als sie hinzufügte: «Ich mag sie nicht einmal besonders.»
    «Natürlich nicht.»
    Sie warf ihm einen kurzen Blick zu und schaute dann wieder aus dem Fenster. «Ach, seien Sie still und fahren Sie.»
     
    Er hatte ihr angeboten, sie in die Praxis zu begleiten. Seinem Gefühl nach brauchte sie wenigstens moralischen Halt, sie hatte ihn jedoch gebeten, auf sie zu warten. Und sie hatte es immer noch nicht für nötig befunden, sich vorzustellen oder nach seinem Namen zu fragen.
    Er war schließlich aus dem Auto gestiegen und auf dem nassen Hof umhergewandert. Die Tierarztpraxis befand sich in einem winzigen, hellgetünchten Gebäude, das zu einem größeren Bauernhof zu

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