Inspektor Jury sucht den Kennington-Smaragd
Jury war überrascht; das Gefängnis verwandelte sich für ihn in eine Abtei; nicht einmal die Säulengänge fehlten. Es hätte ihn nicht gewundert, ins Gebet versunkene Mönche oder Nonnen auf und ab wandeln zu sehen. In der Mitte des Hofs befanden sich ein großes, trockenes Becken und die Statue einer verhüllten Frau mit gesenktem Haupt. Vielleicht kein großes Kunstwerk, aber doch sehr wirkungsvoll in dieser Umgebung.
«Wenn es Ihnen recht ist, gehen wir in einen andern Raum», sagte Lady Kennington. «Ich fand diesen hier schon immer gräßlich.»
Der andere Raum war noch kleiner; durch eine Flügeltür sah er wieder die Statue, jedoch aus einem andern Blickwinkel. Das Kaminfeuer brannte. Aber abgesehen von ein paar Kisten und einem chintzbezogenem Sessel, auf dem ein Umschlagtuch lag, war der Raum leer. Neben dem Sessel stand eine Teetasse auf dem Boden.
«Ich saß hier, als ich die Katze sah.» Sie zeigte auf das Fenster auf der andern Seite.
Jury blickte auf die dunklen Stellen auf der Wand, wo einmal Bilder gehangen haben mußten.
«Die Leute von Sotheby waren da und haben das ganze Mobiliar abgeholt, bis auf diesen Sessel hier, den wollten sie nicht haben. Sie sind sicher wegen der Frau gekommen, die im Wald gefunden wurde?» Jury nickte, sie blickte ihn stumm an und wandte sich dann ab, als versuche sie die Antwort auf eine Preisfrage zu finden. Sie nahm ihr Kopftuch ab und fuhr sich mit der Hand wie mit einem Kamm durch das Haar. «Ich glaube, sie wollte sich hier vorstellen.»
«Und als sie nicht auftauchte, haben Sie sich da nicht gewundert?»
«Doch, natürlich. Aber dann dachte ich mir, daß auf diese Leute eben kein Verlaß ist. Am Freitag habe ich schließlich die Jobvermittlung angerufen. Die Frau, die für den Auftrag zuständig war, war überrascht, aber na ja … für sie war es eben auch ein Mädchen, auf das kein Verlaß ist. Sie hat sich tausendmal entschuldigt und wollte mir eine andere vorbeischicken.
Ich sagte, das sei nicht nötig, so dringend sei die Sache nicht. Ich würde mich wieder bei ihr melden …» Sie verstummte und schüttelte den Kopf, als könne sie das alles nicht begreifen.
«Wann haben Sie von dem Mord gehört?»
«Eigentlich erst heute morgen. Gestern abend war ich nicht zu Hause. Ich war in Hertfield im Kino, und als ich zurückkam, fand ich einen Zettel von Annie vor – das ist meine Köchin. Ich solle sofort die Polizei in Hertfield anrufen. Deshalb habe ich auch ein Polizeiauto erwartet; Sie müssen es recht seltsam finden, daß man sich so wegen einer Katze aufregt, wenn gerade ein Mord passiert ist.» Sie ging zu der Flügeltür hinüber, und ihr weiter, grauer Pullover schimmerte im schwachen Licht der Sonne metallisch. «Ich habe Sie wirklich nicht mit der Polizei in Verbindung gebracht. Tut mir leid.»
«Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen. Ich finde das auch gar nicht so seltsam, ich meine, das mit der Katze.» Jury hatte das Gefühl, als liege die Fahrt zum Tierarzt Jahre und nicht erst fünfzehn Minuten zurück. «Mr. Mainwaring sagt, er habe das Mädchen hierherbestellt.»
«Ja, Freddie wollte mir damit einen Gefallen tun. Er sagte, er kenne die Agentur und habe einen guten Eindruck von ihr. Hören Sie, wollen Sie nicht Platz nehmen?» Sie zeigte in die Richtung der einzigen Sitzgelegenheit.
«Nicht nötig. Setzen Sie sich doch.» Sie schüttelte den Kopf und schob den Ärmel ihres Pullovers zurück. «Wäre es denn nicht einfacher gewesen, jemanden aus dem Dorf damit zu beauftragen?»
«Ja, sicher. Ich hab nur niemanden gefunden. Und Freddie sagte, diese Agentur sei auch nicht sehr teuer.»
Sie schien sich gut mit Freddie zu verstehen. «Hatten Sie den Eindruck, Mr. Mainwaring läge diese Sache irgendwie besonders am Herzen?»
«‹Am Herzen –?› Ich weiß nicht, wie Sie das meinen.» Es wurde ihr jedoch schnell klar, wie es gemeint war. «Wollen Sie damit sagen, daß Freddie Mainwaring das Mädchen irgendwoher kannte?»
«Das wäre ja möglich.»
Sie blickte ihn an, während sie sich die Sache durch den Kopf gehen ließ. Ihre grauen Augen wurden in dem abnehmenden Licht immer dunkler. «Sie scheinen nicht auszuschließen, daß er etwas mit ihrem Tod zu tun hat?»
«Zumindest gibt es da eine seltsame Zufälligkeit.»
Lächelnd schüttelte sie den Kopf. «Ich glaube nicht, daß er darin verwickelt ist. Freddie ist viel zu schlau, um sich eine Frau auf diese Weise vom Hals zu schaffen. Ich bin sicher, er bekäme auch so, was er
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