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Inspektor Morse 07 - Huete Dich vor Maskeraden

Inspektor Morse 07 - Huete Dich vor Maskeraden

Titel: Inspektor Morse 07 - Huete Dich vor Maskeraden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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hatte.
    Selbst jetzt noch, da alles vorbei war, war sie sich der Ambivalenz und Unentschiedenheit ihrer Gedanken, Motive und Hoffnungen bewußt und kam nicht zur Ruhe. Sie wartete die Spätnachrichten auf BBC 2 noch ab, dann nahm sie vier Tabletten und ging zu Bett. Sie war unendlich erleichtert, als sie spürte, daß sie würde schlafen können. Doch um Viertel nach ein Uhr war sie schon wieder wach, und unbarmherzig setzten die Gedanken ein, ohne Pause, immer im Kreis herum, wie ein außer Kontrolle geratenes Karussell.

    Morse dagegen schlief in dieser Nacht vom 2. auf den 3. Januar tief und fest und hatte obendrein einen angenehmen erotischen Traum, in dem eine Frau mit einem Pflaster über der Ferse vorkam. Als er gegen halb sieben Uhr erfrischt und ausgeschlafen erwachte, spürte er einen Moment lang Bedauern, daß es gestern abend mit dem Doppelzimmer nicht geklappt hatte... Aber er war nicht jemand, der verpaßten Gelegenheiten lange nachtrauerte, und besaß eine wirklich bewundernswerte Fähigkeit, Enttäuschungen entschlossen beiseite zu schieben. In der Erinnerung an eine Radiosendung, die letzte Woche eindringlich vor den Gefahren des Cholesterins gewarnt hatte, entschloß er sich, auf das opulente Hotelfrühstück zu verzichten, und stand so bereits um neun Uhr auf dem Bahnhof, um nach Reading zu fahren. In seinem Abteil saßen außer ihm noch zwei weitere Personen: ein Ire (genauso unrasiert wie er selber), der, nachdem er höflich gegrüßt hatte, in Schweigen verfiel und nur noch glücklich vor sich hinlächelte, so als habe er einen besonders schönen Tag zu erwarten, und ein hübsches junges Mädchen, um den Hals einen Schal, der sie als Studentin der Lady Margaret Hall in Oxford auswies, die mit sorgenvoll verzogener Stirn in einem Band mit anthropologischen Essays las, so als hätten sich die Probleme der Menschheit über Nacht noch verdoppelt.
    Beide zusammen erschienen Morse wie eine Metapher.

Kapitel Zwanzig

FREITAG, 3. JANUAR

    Jeder Abschied bedeutet Qual und Erlösung zugleich.
    C. Day Lewis

    Helen Smith verbrachte, genau wie Margaret Bowman, eine unruhige Nacht. Wäre ihre Unternehmung gestern erfolgreich gewesen, so hätte sie jetzt ruhig schlafen können, doch nun, da sie fehlgeschlagen war, waren ihre Ängste größer als zuvor. Ihr Mann John hatte sich großartig verhalten und ihr keinerlei Vorwürfe gemacht, ja, sogar versucht, sie zu trösten, indem er ihr erklärte, daß, selbst wenn sie tatsächlich etwas zurückgelassen hätte, was eventuell die Aufmerksamkeit auf sie lenken könne, die Polizei genug damit zu tun hätte, die wirklichen Verbrechen aufzuklären, und vermutlich nicht allzuviel Zeit darin investieren würde, so einem relativ kleinen Vergehen nachzuforschen. Dafür, daß er dies zu ihr gesagt hatte, hatte sie ihn plötzlich wieder mit der gleichen Kraft geliebt wie damals vor fünf Jahren, als sie sich in ihrem Heimatland Jugoslawien kennengelernt hatten. Nach nur zwei Wochen hatte er sie schon gebeten, ihn zu heiraten und mit ihm nach England zu gehen, und sie hatte eingewilligt. Sie hatte geglaubt, er sei ein gutsituierter Geschäftsmann — ein sehr gut situierter Geschäftsmann. Und sie war froh gewesen, Jugoslawien verlassen zu können; ihre Familie lebte immer noch im Schatten eines ungeklärten Zwischenfalls Anfang der fünfziger Jahre, als ihr Großvater väterlicherseits nahe bei Triest von Titoisten erschossen worden war. Ziemlich schnell nach ihrer Ankunft in England hatte sie ihren Mann durchschaut und erkannt, daß seine Vergangenheit zweifelhaft, die Gegenwart fragwürdig und die Zukunft alles andere als rosig war. Doch auf ihre sanfte, ruhige Art hatte sie sich schnell damit abgefunden und versucht, ihn zu lieben und die ihr zugedachte Rolle nach bestem Wissen auszufüllen.
    Gegen halb acht Uhr saßen sie sich am Fichtentisch in der kleinen Küche ihres gemieteten Hauses gegenüber. Ihr Frühstück war immer sehr frugal — Pampelmusensaft, Toast mit Marmelade und Kaffee. Als sie fertig waren, blickte John seine Frau einen Moment lang liebevoll an und nahm dann ihre Hand. Sie war noch immer anziehend für ihn — wenigstens, was diesen Punkt anging, hatte er sie nie anzulügen brauchen. Ihre Figur entsprach nicht den gängigen Schönheitsidealen, dafür waren ihre Beine zu dünn und ihre Brüste zu klein, und ihr slawisch geschnittenes Gesicht mit den hohen Wangenknochen und dem durch alte Aknenarben etwas groben Teint wirkte leicht etwas mürrisch.

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