Inspektor Morse 07 - Huete Dich vor Maskeraden
Lewis: Sie haben Ihre Sache gut gemacht! Kein Wunder, daß ich immer froh bin, wenn ich Sie bei den Ermittlungen dabei habe.»
Lewis strahlte wie ein Kind unterm Weihnachtsbaum, als er, nachdem er Morse noch die Adresse der Smiths durchgegeben hatte, den Hörer auflegte. Er bedankte sich bei dem Optiker und machte sich auf den Weg zurück nach Oxford. Morse war der Meinung gewesen, daß ein Besuch bei dem Ehepaar Smith bis morgen Zeit hätte, und Lewis war froh gewesen über diese Entscheidung — er war zum Umfallen müde.
Als Lewis gegen 21 Uhr endlich zu Hause eintraf, genügte seiner Frau ein kurzer Blick, um zu wissen, daß ihr Mann offenbar etwas Schönes erlebt hatte. Während sie ihm seine geliebten Spiegeleier mit Chips machte, erzählte er ihr von dem Telefongespräch mit Morse, und sie wunderte sich einmal mehr, wie es der Chief Inspector immer wieder fertigbrachte, ihren Mann mit einem einzigen lobenden Satz glücklich zu machen. Auch sie selber war an diesem Abend glücklich — sie war immer glücklich, wenn ihr Mann es war.
Nachdem er das Telefongespräch mit Lewis beendet hatte, überlegte Morse, daß es eigentlich praktischer sei, über Nacht in London zu bleiben, und wenn er dann morgens zurückfuhr nach Oxford, die Reise in Reading für ein paar Stunden zu unterbrechen. Zum drittenmal an diesem Abend ging er also zum Empfang (es tat immer noch dasselbe Mädchen Dienst) und erkundigte sich in seinem allercharmantesten Ton, ob sie noch ein Einzelzimmer frei habe. Sie hatte und reichte ihm das Anmeldeformular. Morse trug sich ein als Das Mädchen am Empfang, nun völlig verwirrt, blickte ihn aus aufgerissenen Augen an und schien sich ganz offensichtlich zu fragen, ob nun er verrückt sei oder sie. Sie sah ihm nach, wie er, leise vor sich hinpfeifend, in Richtung Treppe marschierte, und überlegte, ob sie den Manager anrufen und ihm ihren Verdacht mitteilten sollte, daß sie möglicherweise einen Angehörigen der IRA im Hause beherbergten. Doch dann entschloß sie sich, eine Meldung zu unterlassen. Wenn er ein Bombenwerfer war (was sie nicht ausschloß), so hatte er die Bombe im Moment jedenfalls nicht bei sich, denn er war ganz ohne Gepäck abgestiegen — ohne Koffer, ohne Reisetasche, und so wie es aussah, vermutlich sogar ohne Zahnbürste.
Kapitel Neunzehn
2./3. JANUAR
Denn Liebe ist stark wie der Tod,
Und ihr Eifer ist fest wie die Hölle.
Hoheslied 8,6
Irgendwann hatte die ganze verzweifelte Geschichte begonnen, sich zu verselbständigen und ihre eigene Dynamik zu entwickeln. Margaret Bowman hatte mitunter das Gefühl, als sitze sie auf abschüssiger Strecke am Steuer eines Wagens, dessen Bremsen nicht mehr funktionierten, und das einzige, was sie tun könne, sei, das immer schneller werdende Gefährt halbwegs in der Spur zu halten und zu beten, daß nicht unvermittelt ein Hindernis auftauche und es heil unten ankäme. Denn einfach anzuhalten war nicht mehr möglich.
Es mußte ungefähr ein Jahr her sein, als ihr zum erstenmal bewußt wurde, daß ihr Mann sich unzweifelhaft zum Alkoholiker entwickelte. Zwar gab es immer noch vereinzelt Tage, an denen er nicht einen einzigen Tropfen zu sich nahm, aber in immer kürzeren Abständen gab es Perioden, in denen sie zwei-, dreimal wöchentlich von der Arbeit nach Hause kam und feststellte, daß er sich in einer Art Betäubungszustand befand. Er sprach dann schleppend, hatte Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren, und es war offensichtlich, daß er am Nachmittag getrunken hatte. Ihre Unmutsäußerungen und Kritik hatten bei ihm jedesmal heftige Reaktionen ausgelöst und eine brutale, ja rohe Seite seines Charakters enthüllt, die ihr bisher verborgen geblieben war und die sie erschreckte. War es wegen seiner Trinkerei, daß sie ihm (zum erstenmal in ihrer Ehe) untreu geworden war? Sie konnte es nicht sagen. Aber möglicherweise, ja, sogar wahrscheinlich, hätte sie auch ohne diesen Umstand früher oder später mit irgendeinem der Männer, die sie, seit sie wieder arbeitete, kennengelernt hatte, etwas angefangen. Sie wußte, daß jeder sich im Laufe
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