Instinkt

auch.«
    Nun bog sie in den York Way ein, dann rechts in die Caledonia Street, fuhr Zickzack durch die Seitenstraßen und hielt verzweifelt nach dem Wagen Ausschau, von dem sie nur eine vage Beschreibung hatte. Sie hatte sich nicht einmal die Zeit genommen, sich das Foto anzusehen. Es war, als wäre sie nicht mehr in der Lage, klar zu denken. Sie musste in Bewegung bleiben, Spuren nachjagen, durfte nicht zur Ruhe kommen, denn sonst wäre alles vorbei. Man würde sie erst suspendieren, dann feuern, und Alpha würde entkommen, ebenso wie Paul Wise, der Mann, den sie um jeden Preis zur Strecke bringen wollte.
    Mike hatte Recht. Sie war besessen. Vielleicht sogar gestört, manisch, irre. Aber sie erzielte Resultate. Sie war diejenige, die den entscheidenden Hinweis auf Kent entdeckt hatte, sie hatte die Ungereimtheiten beim Mord an Roisín O’Neill bemerkt, sie hatte Gore aufgespürt. Das konnten die Drecksäcke im Präsidium ihr nicht nehmen.
    Fünf Minuten verstrichen. Sie wurde frustrierter und frustrierter. Plötzlich war sie sich ihrer Spur und ihrer selbst nicht mehr sicher, außerdem bedeutete jede Minute, die sie von Gores Haus fernblieb, einen weiteren Nagel im Sarg ihrer Karriere. Langsam dämmerte ihr, dass sie als Polizistin erledigt war, und die Erkenntnis hing unheilverkündend über ihrem Kopf.
    Sie merkte, dass ihre Hände zitterten und ihr Atem schneller und schneller ging. Sie fuhr an den Randstein, zündete sich eine Zigarette an und versuchte, sich zu beruhigen.
    Und da hörte sie es. Es kam von der Baustelle hinter ihr. Das unverwechselbare Geräusch von Schüssen.

FÜNFUNDFÜNFZIG
    Ich spürte keinen Schmerz, nur einen dumpfen Schock und eine Taubheit, die von den Schenkeln bis zur Brust reichte. Soweit ich gesehen hatte, war ich zweimal getroffen worden, eine Kugel in den Oberschenkel, die andere in den Bauch. Die Wunde im Oberschenkel blutete nicht besonders stark, es waren also keine wichtigen Arterien verletzt, oberhalb des Knies konnte ich sogar eine Austrittswunde erkennen. Der Bauchschuss dagegen war übel, die Austrittswunde hier hatte die Größe eines Golfballs, und daraus floss jede Menge Blut auf den staubigen Betonboden.
    Dennoch schaffte ich es, mich aufzusetzen und gegen die Wand zu lehnen, erstaunlicherweise hielt ich den Revolver noch immer in der Hand. Einige Schritte entfernt, mir gegenüber, lag Tommy auf dem Bauch. Mit meiner letzten Kugel musste ich ihn im Kopf erwischt haben, während er mich offenbar verfehlt hatte. Also waren wir quitt. Er machte noch eine Weile gurgelnde, mit leisen Schmerzensschreien durchsetzte Geräusche und versuchte sogar – vergeblich – sich aufzurichten, ehe er regungslos und still liegen blieb. Nicht einmal seinen Atem konnte ich mehr hören.
    Nun war ich in diesem höhlenartigen Höllenloch gefangen, das nach Lage der Dinge mein Grab werden würde. Ich konnte mich nicht mehr richtig bewegen, und selbst wenn ich noch die Kraft dazu aufbrächte, würde kein Mensch meine Schreie hören. Polizeisirenen blieben aus, offenbar hatte niemand die Schießerei bemerkt.
    Ich hatte schrecklichen Durst und zitterte wie ein nasser Hund, doch komischerweise verfiel ich nicht in Panik. Dafür war ich zu erschöpft, und nach allem, was passiert war, verspürte ich ein merkwürdiges Gefühl der Befriedigung. Ich war allein ausgezogen, meinen Bruder zu rächen, und ich hatte es geschafft. Die Gangster, die ihn auf dem Gewissen hatten, waren tot, und ich schätze, damit hatte ich der Menschheit genauso einen Gefallen getan, wie dass ich sie von Andrew Kent befreit hatte. Wenn das mein Abschiedsgeschenk an die Welt sein sollte, dann war es mir recht.
    Doch während ich waidwund und hilflos dasaß und mich fragte, wie ich in dieser elenden Gruft gelandet war, fühlte ich den Tod langsam näher kommen und wusste, dass es keinen Ausweg mehr gab. Das war am schwersten zu akzeptieren, dass mein Leben gleich zu Ende sein würde, und in diesen letzten Sekunden, in denen der Schmerz schließlich den Schock überwältigte und meine Gedärme brannten, fragte ich mich einen Augenblick lang, ob wohl jemand um mich trauern würde. Ob sich in zehn Jahren noch jemand an mich erinnern würde.
    Dann hörte ich es. Ein Geräusch, direkt vor der Tür. Das Scharren eines Fußes auf dem Boden.
    Himmel. Nahm der Alptraum nie ein Ende? Stand mir ein allerletzter Akt bevor?
    Ich biss die Zähne zusammen und hob langsam die Hand, in der ich den Revolver hielt. Eine dunkelhaarige Frau kam