Instinkt
eigentlich, was Sie da veranstalten?«, wollte Mendelson wissen. Er baute sich vor ihr auf und konnte seinen Zorn offenbar nur mühsam unter Kontrolle halten.
»Einen Mord aufklären«, erwiderte sie ruhig und hielt seinem Blick stand.
»Den Sie aber gar nicht aufgeklärt haben, oder sehe ich das falsch? Das Einzige, was wir hier haben, sind ein Haufen Leichen und eine Beamtin, die nie da ist, wo sie zu sein hat. Sie sind Zeugin für den Mord an einem Minister, verdammt nochmal, Sie können sich nicht einfach vom Tatort entfernen.«
Verärgert schüttelte er den Kopf. »Die Met kann es sich nicht leisten, psychisch instabile Querulanten an Bord zu haben. Und genau das sind Sie.«
Tina war kurz davor, ihn daran zu erinnern, dass er, als sie zu Dougie MacLeods Team gestoßen war, genau das Gegenteil gesagt hatte. Damals hatte er hervorgehoben, sie sei genau der draufgängerische Ermittlertyp, den die Met dringend benötigte. Doch sie verzichtete darauf und zog es vor, ihn so lange reden zu lassen, bis seine Energie aufgebraucht war. Allerdings vermied sie es, Grier anzusehen, der einige Schritte entfernt stehen geblieben war und betreten zu Boden schaute.
»Deshalb sind Sie bis auf weiteres vom Dienst suspendiert«, fuhr Mendelson fort. »Außerdem fordere ich Sie auf, sich umgehend zum Notting Hill Revier zu begeben und vor der Mordkommission zu Protokoll zu geben, was im Hause von Anthony Gore geschehen ist. Soweit ich weiß, haben Sie sein Geständnis aufgezeichnet.« Seine letzten Worte betonte er so übermäßig, als glaubte er, dass irgendetwas an der Sache nicht stimmte. »Sollte das der Fall sein, fordere ich Sie auf, die Aufnahme abzuliefern.« Er streckte die Hand aus.
»Sie irren sich«, antwortete sie, ohne Grier anzusehen. »Es gibt keine Aufnahme.«
»Sind Sie sicher?« Er runzelte die Stirn und sah sich dann nach Grier um.
»DC Grier, hatten Sie nicht gesagt, DI Boyd hätte die Vernehmung von Mr. Gore aufgezeichnet?«
»Ich sagte, ich bin mir nicht sicher«, erwiderte Grier. »Ich dachte, sie hätte es vielleicht aufgenommen, aber wenn sie sagt, sie hat nicht …«
Mendelson wirkte alles andere als überzeugt. »Wenn Sie mich belügen …«, herrschte er Tina an.
»Tue ich nicht.«
»Ich könnte Sie durchsuchen lassen, das ist Ihnen doch klar. Unter den gegebenen Umständen hätte ich dazu durchaus das Recht.«
Sie sah ihn abschätzig an: »Viel Spaß dabei.«
»Mir gefällt ihr Ton nicht, Miss Boyd.«
»Das geht mir am Arsch vorbei, Mr. Mendelson.«
Der DCS lief so rot an, dass man fürchten musste, er könne jeden Augenblick explodieren. Er zitterte buchstäblich vor Wut und brauchte eine Weile, bis er sich wieder unter Kontrolle hatte.
»Sie sind erledigt«, zischte er schließlich, und auf seinen Lippen zeichnete sich ein dünnes Lächeln ab. »Dafür werde ich persönlich sorgen.«
»Ach leck mich«, entgegnete sie, doch ihre Worte gingen im Sirenengeheul unter, als ein weiterer Krankenwagen an ihnen vorbeiraste. Und Mendelson hatte sich sowieso bereits abgewandt und stapfte wütend davon.
Sie sah ihm hinterher, trat ihre Zigarette aus und stieß sich von der Motorhaube ab. Sie ließ das Auto stehen, wo es war, und ging, ohne sich umzuschauen, in die entgegengesetzte Richtung. Ein merkwürdiges, aber berauschendes Gefühl der Freiheit durchströmte sie.
T EIL D REI N EUN T AGE SPÄTER
SIEBENUNDFÜNFZIG
Tina Boyd war überrascht, wie gut erholt Sean Egan bereits aussah. Als sie an die Tür seines Privatzimmers klopfte und eintrat, saß er aufrecht im Bett und las ein Buch. Sie hatte eine Schachtel Pralinen und eine anständige Flasche Single Malt mitgebracht. Sie wäre gerne früher gekommen, aber während der ersten Woche befand er sich in Polizeigewahrsam, wurde strengstens bewacht und durfte nur ausgewählte Besucher empfangen.
Er grinste, als er sie sah und legte das Buch beiseite. »Na? Was verschafft mir die Ehre?«
»Ich wollte dir danken, dass du mir das Leben gerettet hast«, sagte sie, stellte Pralinen und Scotch auf den Nachttisch und setzte sich.
»Tommy war eine Pfeife, ich schätze, du hättest auch so überlebt.«
»Dich hat er immerhin zweimal getroffen.«
»Reines Glück«, erwiderte er und lächelte sie an. »Aber wenn du nicht aufgetaucht wärst, wäre ich da oben verblutet. Wir sind also quitt. Darauf sollten wir einen trinken.«
Tina, die Whisky nicht mochte, hatte sich gerade deshalb für Scotch entschieden. »Nein, nein, den hebst du dir auf, bis
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