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Instinkt

Instinkt

Titel: Instinkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Kernick
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Hinter wem auch immer wir her sind, er muss einiges wert sein. Es geht um eine einzelne Person, die von jemandem eskortiert wird, der nicht bewaffnet ist. Mehr weiß ich nicht. Ich weiß nicht mal, wo.«
    »Weißt du, woher Wolfe von dem Mann weiß?«
    Er schüttelte den Kopf. »Er hält seine Karten immer gut verdeckt. Und diesmal ist er noch verschlossener als sonst. Deshalb hat er dich auch so hart angefasst. Er nimmt normalerweise für solche Jobs keine Leute von außen, aber da er einen vierten Mann braucht und gesehen hat, dass wir Kumpels sind und du Kohle brauchst …«
    »Danke, dass du an mich gedacht hast«, sagte ich und verspürte ein leichtes Schuldgefühl, weil ich ihn verraten würde. Tommy Allen war zwar ein gewalttätiger Gangster, aber wir waren uns nähergekommen, als mir recht war. Manchmal behandelte er mich wie einen Sohn, den er nie hatte.
    Wir schwiegen, und er zündete sich eine Zigarette an.
    Ich sah ihm sehnsüchtig zu. Ich gestatte mir immer nur zwei Zigaretten täglich, eine nach dem Mittagessen und eine nach dem Dinner. Eine Gewohnheit, an die ich mich strikt halte, aber diesmal hätte ich gerne eine Ausnahme gemacht, wissend, dass ich ins Wasser geworfen werden sollte und dort vielleicht Haie auf mich warteten.
    Ich starrte zum Fenster hinaus und versuchte, mein Herzklopfen zu ignorieren. Draußen zogen Hotels, Theater und Straßencafés vorbei, bis das West End den großen viktorianischen Häusern von Lincoln Fields und dem Gerichtsviertel Platz machte, die in die Stahl-und-Glas-Architektur der City überging. Schließlich verabschiedete sich der Wohlstand, und die Apartmentblocks und Reihenhäuser des East Ends tauchten auf. Diese Gegend Londons hatte am meisten unter dem Bombenkrieg der Deutschen gelitten, und die Narben sah man noch heute: Alte viktorianische Gebäude standen neben Fünfziger-Jahre-Reihenhäusern und Wohnsilos aus den sechziger Jahren. Aus den Lautsprechern tönte mittlerweile der fröhliche Sound von Tommys »Best of Level 42« -CD.
    Tommy – so viel hatte ich mittlerweile herausgefunden – war ein großer Level-42-Fan. Er sang fast alle Songs lautstark mit, und ein paarmal fiel auch Tommy Junior mit durchdringendem Geheul ein und schuf eine Kakophonie, die mir die Fußnägel hochgerollt hätte, wäre ich nicht so mit mir selbst beschäftigt gewesen.
    Schließlich, es lief gerade »Micro-kid«, eines der schwächeren Stücke der Band, bemerkte Tommy, dass ich ziemlich schweigsam war.
    Er stellte den Player leiser. »Sean, du hast doch nicht etwa Schiss?«
    »Nein, ich bin nur sprachlos angesichts des Duetts, das du mit Tommy Junior veranstaltest.«
    Er lachte. »›Lessons in Love‹ ist sein Lieblingsstück. Da trifft er sogar den Ton.« Er wandte sich zu mir und wurde sofort wieder ernst. »Ich kann für die Kerle, mit denen du’s gleich zu tun hast, die Hand ins Feuer legen. Ich hab selber Deals mit ihnen durchgezogen. Auf die ist Verlass.«
    Diesen Spruch hatte ich unter Kriminellen schon unzählige Male gehört. Auf die ist Verlass. Leider stimmte es meistens nicht. Sie waren paranoid, hypernervös, gewalttätig, auf Drogen und eine tödliche Gefahr. Während meiner Undercover-Einsätze war ich zweimal mit einer Pistole bedroht worden, viermal mit einem Messer, einmal mit einer Axt sowie mit Stemmeisen, Baseballschlägern und sogar mit einem mittelalterlich anmutenden Morgenstern. Eine Bande durchgeknallter Irrer auf Wodka und Crack hatte mich mit Benzin übergossen und gedroht, mich abzufackeln, falls ich nicht die Drogen rausrückte, die sie bei mir glaubten. Dabei hatte ich gar keine, was sie gerade noch rechtzeitig kapierten. Oft bin ich morgens aufgewacht und habe mich gefragt, wann mein Glück mich verlassen würde.
    Doch trotz allem wusste ich, ich könnte diesen Job nie aufgeben. Dafür glaubte ich zu sehr an die alte Weisheit, dass das Böse triumphiert, wenn die Guten nichts dagegen tun. Und dieser Tage lief es für das Böse ziemlich gut, und untätige Gute gab es im Dutzend billiger. Als kleiner Junge ging ich abends mit der Gewissheit ins Bett, dass unter meinem Fenster ein Bobby wachte und mich vor den Kreaturen beschützte, die die Alpträume von Kindern bevölkern. Der Gedanke tröstete mich genug, um ruhig einzuschlafen. Jetzt war ich der Bulle, und da draußen gab es genug Menschen, die sich auf mich verließen.
    Es war kurz nach eins, als Tommy in eine heruntergekommene Straße nördlich der Barking Road einbog, in der sich auf beiden

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