Instinkt
Seiten Vorkriegsreihenhäuser aneinanderdrängten. Eine der Reihen endete abrupt, das letzte Haus war einfach in sich zusammengefallen und bestand nur noch aus einem Haufen Schutt und Geröll, in dem ein ausgebrannter Wagen ohne Räder aufgebockt war. Vereinzelt lag Müll auf der Straße, gelegentlich hochgewirbelt von einer Böe, während fernab rot-blaue Baukräne wie Gottesanbeterinnen in den Himmel ragten. Gegenüber der Brache befanden sich ein paar windschiefe Werkstattschuppen, von denen die meisten heruntergelassene Läden hatten oder mit Brettern verrammelt waren.
»Da ist es«, sagte Tommy, parkte und deutete auf eine Take-away-Bude namens Zafiah’s Fine Jamaican Cuisine, die sich nicht gerade einladend neben einem verlassenen Gebäude duckte, das die Spuren versuchter Brandstiftung trug. Ein Gruppe in Kapuzenjacken gehüllter Kiddies saß auf ihren Mountainbikes und teilte sich einen Joint.
»Sieht geschlossen aus«, meinte ich.
»Ist es auch, aber sie erwarten uns. Geh einfach an die Seitentür und frag nach Mitchell. Und überprüf die Waffen, bevor du ihnen die Kohle gibst. Ich bleib hier.«
»Du willst wirklich nicht mitkommen?«
Er sah mich bedauernd an, sein Blick und seine hängenden Wangen gaben ihm das Aussehen eines traurigen Hundes. »Kann ich nicht, Kumpel. Du sollst das allein durchziehen. Befehl ist Befehl. Danach weiß Wolfe, dass er dir definitiv trauen kann.«
»Aber Wolfe ist nicht hier, Tommy. Ich kenne diese Typen ja nicht mal. Du musst mir helfen.«
»Die machen keine Probleme, Sean. Ehrlich nicht. Das läuft alles bestens.«
In diesem Augenblick spürte ich, dass auch Tommy mir nicht völlig vertraute. Dass ich mich mit diesem Job ihm genauso beweisen musste wie Wolfe. Ich war hundertprozentig auf mich allein gestellt.
»Dann tu mir wenigstens einen Gefallen: Hol mich raus, wenn ich nach zehn Minuten nicht zurück bin.«
Er schenkte mir ein aufmunterndes Lächeln und meinte, klar doch, mach dir keinen Kopf. Aber in meinem Job steht er ständig auf dem Spiel.
Der Morgen hatte schon mies angefangen, und ich musste mich zwingen, endlich auszusteigen. Ich war kurz davor, das Ganze zu knicken und mich bei Scotland Yard auf einen Schreibtischposten zu bewerben. Nur weg von dieser Scheiße. Der Umschlag mit den fünf Riesen steckte vorne in meiner Jeans. Zwar hing mein Hemd darüber und verbarg ihn, dennoch war ich verwundbar.
Ich überquerte die Straße und ging an den Kapuzenjacken-Kids und dem Eingang der Imbissbude vorbei, gemächlich und ihre Blicke ignorierend. Ich schaute kurz durch die Scheibe, konnte aber nur erkennen, dass es drinnen dunkel und leer war, dann bog ich um die Ecke und ging durch eine versiffte Gasse zum Seiteneingang. Einen Augenblick überlegte ich, Captain Bob anzurufen und um Unterstützung zu bitten, falls die Dinge nicht wie gewünscht laufen sollten. Aber Bob würde mir nie erlauben, allein da reinzugehen, und so konnte ich nur hoffen, dass der Deal glattging. Dann würde ich meine Erkenntnisse über die Waffenhändler durchgeben, und in ein paar Tagen oder Wochen, wenn die Erinnerung an meinen Besuch verblasst war, konnte man die Typen ohne großes Aufsehen festnehmen. Das war das Gute an Undercover-Operationen. Der Domino-Effekt. Hatte man eine Gang infiltriert, stieß man schnell auf die nächste. Auch in der Unterwelt geht es wie im Geschäftsleben darum, mit anderen Geschäfte zu machen.
Die Gasse war schmal, und an der Seite stapelten sich schwarze Müllsäcke, von denen einige aufgerissen waren und ihren Inhalt über den Weg ergossen. Graffiti – Gang-Tags und Teenager-Sprüche – bedeckten die einst weißgekalkten Mauern, und in der Luft hing der Geruch von altem Bratfett. Ich stapfte durch den Müll, bis ich an eine hölzerne Tür gelangte, die vor hundert Jahren einmal blau gewesen war. Der Fettgeruch war hier noch durchdringender, und links und rechts drohten aufgetürmte Müllsäcke jeden Moment einzustürzen.
Ich holte tief Luft und klopfte.
Eine ganze Weile, zwanzig oder dreißig Sekunden, rührte sich nichts. Ich wollte gerade ein zweites Mal klopfen, als sich die Tür einen Spaltbreit öffnete und hinter einer Sicherheitskette ein Paar weit aufgerissene Augen aufleuchteten.
»Ich will zu Mitchell. Er erwartet mich. Ich bin Sean.«
Die Augen fixierten mich noch einen Moment lang, dann wurde die Kette entfernt, und die Tür schwang auf.
Ein hochgewachsener, schlanker Schwarzer Anfang vierzig musterte mich mit glasigen Augen.
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