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Instinkt

Instinkt

Titel: Instinkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Kernick
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obwohl es ziemlich lange dauerte, kam er langsam aus seinem Schneckenhaus. Das war zwar von einigen Rückschlägen begleitet, darunter eine Festnahme wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses und Körperverletzung, nachdem er in einem Pub angetrunken jemanden attackiert hatte, der über sein Gesicht gelästert hatte. Doch er kriegte sein Leben wieder auf die Reihe und fand sogar einen Job in einem Secondhand-Buchladen, der ihm Spaß machte. Ich war damals gerade als Trainee in die Met eingetreten, war in Holborn kaserniert und hatte deshalb unser Elternhaus in Herefordshire verlassen, konnte ihn so aber häufig besuchen. Meistens gingen wir auf ein paar Drinks in einen Pub nahe seiner Wohnung. Ich war beeindruckt, wie er sich in den Griff bekommen hatte. Er sprach sogar davon, am London Marathon teilzunehmen, um Spenden für eine Vereinigung ehemaliger Armeeangehöriger zu sammeln.
    Doch dazu bekam er keine Gelegenheit mehr, denn nur wenige Wochen später war er tot.
    Es passierte während der Mittagspause. John hatte gerade die Vormittagsschicht im Buchladen beendet und wollte sich bei einem Deli um die Ecke ein Sandwich holen, als er geradewegs in einen bewaffneten Raubüberfall geriet.
    Zwei maskierte und mit Pumpguns bewaffnete Männer hatten vor der NatWest-Bank einen Geldtransporter geentert. Sie hatten die beiden Wachleute gezwungen niederzuknien, sich der Geldsäcke bemächtigt und rannten bereits wieder zu ihrem Fluchtfahrzeug, in dem ein dritter Gangster mit laufendem Motor wartete. John sah das Ganze, nahm die Verfolgung auf und versuchte, einen der Gangster mit einem Bodycheck zu stoppen.
    Das war eine verrückte Aktion, aber genau die, die man von John erwarten musste. Er ertrug es einfach nicht, wenn die Bösen gewannen. Und er war nicht nur tapfer, sondern tollkühn, und seit seiner Verwundung sicher noch mehr, da er – wie ich vermute – etwas beweisen wollte und den Überfall als die Gelegenheit sah, endlich den ersehnten Ruhm einzuheimsen, der ihm im Krieg nicht vergönnt gewesen war.
    Unglücklicherweise hatte er sich mit den falschen Männern angelegt. Dutzende von Zeugen stimmten im Wesentlichen darin überein, dass der Gangster, den John attackiert hatte, sehr robust gebaut war und John abschüttelte. Der andere Gangster habe sich dann umgedreht und ein, zwei Schritte auf John zu gemacht, der bereits mit einem Knie am Boden und erhobenen Händen signalisierte, dass er aufgebe. Der Gangster habe noch »Oi Freak« gerufen und ihn dann ohne zu zögern aus einer Entfernung von kaum einem Meter in den Kopf geschossen. John war sofort tot. Die beiden Gangster waren mit ihrer Beute entkommen.
    Sechsundvierzigtausenddreihundertundzwanzig Pfund – der Preis für das Leben meines Bruders.
    Oi Freak! Diesen Ausruf werde ich nie vergessen. Er klingt mir jetzt noch in den Ohren. Nicht nur, dass die Gangster jemanden ermordet hatten, der hundertmal mehr Mann war, als sie es je sein würden, sein Killer hatte sich außerdem über die Verletzungen lustig gemacht, die mein Bruder im Dienst für sein Land erlitten hatte.
    Der Mord löste eine Welle öffentlicher Empörung aus. Niemand mag sich damit abfinden, wenn ein Mann ermordet wird, der den Mut besitzt, sich zwei Gangstern in den Weg zu stellen, und schon gar nicht, wenn es sich dabei um einen im Krieg verwundeten Offizier handelt. Doch die Empörung allein bewirkte leider gar nichts. Obwohl der Druck auf die ermittelnden Beamten immens war, die Bande zu schnappen, die mutmaßlich für fünf weitere Überfälle während der letzten beiden Jahre verantwortlich war, fand man kein beweisfähiges Material.
    Das bedeutete allerdings nicht, dass die Polizei nicht wusste, wer die Gangster waren. Drei Namen rückten schnell ins Zentrum der Ermittlungen: Tyrone Wolfe, Clarence Haddock und Thomas Allen, Berufsverbrecher aus Hackney, die es zusammen auf mehr als zwanzig Verurteilungen brachten. Sie wurden festgenommen und auf verschiedenen Polizeirevieren verhört, doch keiner der drei gab auch nur das Geringste preis, und die Durchsuchung ihrer Wohnungen erbrachte ebenfalls nichts Verwertbares. Deshalb wurde auch keine Anklage erhoben, und obwohl sie nach ihrer Freilassung eine Weile lang beobachtet wurden, rückten sie allmählich wieder aus dem Brennpunkt der Aufmerksamkeit.
    Für meine Familie war es eine andere Geschichte. Die Bombe, Johns entstellende Verletzungen und schließlich seine Ermordung waren zu viel für meine Eltern. Mein Vater hat sich nie mehr

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