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Instinkt

Instinkt

Titel: Instinkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Kernick
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davon erholt. Nach außen hatte er zwar immer unverwüstlich gewirkt, in seinem Innern aber war er sensibler, als er es sich anmerken ließ. Er überlebte John um nicht einmal zwei Jahre. Meine Mutter hielt noch sieben weitere Jahre durch, hauptsächlich meinetwegen, glaube ich. In den letzten Jahren alterte sie rapide, sie ergraute und fiel förmlich auseinander. Wir sahen uns immer seltener. Sie ertrug den Gedanken nicht mehr, dass ich mein Leben als Polizist aufs Spiel setzte, nicht nach dem, was John zugestoßen war, und verstand nicht, warum ich gerade deshalb keinen gewöhnlichen Job mehr machen konnte. Sie drängte mich, bestürmte mich, quengelte, ich wurde sauer und schrie sie an, sie weinte, und ich entschuldigte mich. Unsere kleine Familientragödie wiederholte sich wie eine defekte Schallplatte, bis ich sie schließlich vor fünf Jahren beerdigte.
    Aber den Mann, der meinen Bruder umgebracht hat, habe ich nie vergessen. Während meiner gesamten Laufbahn nervte ich meine Vorgesetzten, gegen ihn zu ermitteln. Und Ermittlungen gab es. Wolfe und Haddock wurden einmal sogar zu drei Jahren verurteilt, weil man sie des Handels mit Kokain und Heroin überführen konnte, und Tommy Allen brummte man achtzehn Monate wegen Steuerhinterziehung auf. Doch das war nicht genug, und als sie rauskamen und sich wieder dem Drogenhandel widmeten und dazu noch ins Bordellgewerbe einstiegen und sich am Menschenhandel beteiligten, wurden sie nur noch vorsichtiger. Doch ich ließ nicht locker. Ich verfolgte ihre Schritte, suchte nach Löchern in ihrer Deckung.
    Dann, vor sechs Monaten, als ich an einer anderen Sache dran war, erzielte ich endlich den Durchbruch. Ein Informant sagte mir, er habe gehört, Tyrone Wolfe sei stolz darauf, meinen Bruder erschossen zu haben, und da beschloss ich, dass ich mich bei ihnen einschleichen musste. Obwohl sie gerne wie zusammengeschweißt auftraten, beschäftigten sie regelmäßig Außenstehende für ihre kriminellen Geschäfte, hauptsächlich im Bordellgewerbe und beim Menschenhandel. Ich war überzeugt, wenn ich nahe genug an Wolfe herankäme, würde ich ihn zu dem Geständnis bringen, dass er meinen Bruder ermordet hatte. Und könnte ich das aufzeichnen, bräuchten wir nur noch den Sargdeckel zuzunageln.
    Doch als ich Captain Bob in seinem Büro im CO10-Hauptquartier in Brixton aufsuchte und um die Genehmigung bat, wies er mich rundweg ab.
    Captain Bob, ein glatzköpfiger, leichenhaft aussehender Endfünfziger, dem man seine Privatschulherkunft noch immer anhört, ist seit über fünf Jahren mein Boss bei der CO10. Er sitzt auf seinem mageren Arsch und verteilt Aufträge. Ich halte meinen hin und erledige sie. Dafür bekommt er doppelt so viel Geld (einmal konnte ich einen Blick auf seinen Gehaltsscheck werfen) wie ich, der alle Risiken auf sich nimmt. Das scheint mir unsere Arbeitswelt doch sehr gut abzubilden.
    Bis zu jenem Tag hatte ich es immer geschafft, damit zu leben, denn im Grunde war er kein schlechter Boss, der mir nicht allzu viele Steine in den Weg legte. Aber als er sich hinter seinem Schreibtisch aus dunklem Glas aufbaute, seinen teuren Anzug glattstrich und mir sagte, es gebe größere und wichtigere Ziele als Tyrone Wolfe, platzte mir der Kragen.
    »Nicht für mich«, erwiderte ich kalt, beugte mich über seinen Schreibtisch und kam ihm entschieden zu nahe. »Das Schwein hat meinen Bruder ermordet und läuft frei rum, prahlt sogar damit und lebt von seinen Verbrechen wie die Made im Speck. Was braucht es noch, damit Sie sich für ihn interessieren? Dass er die verfickte Queen abknallt?«
    Ungerührt forderte Captain Bob mich auf, mich zu beruhigen und wieder zu setzen. »Ich werde Ihre Informationen nach oben weitergeben, aber eben weil Sie das zu Ihrer persönlichen Sache machen, kann ich Ihr Vorhaben nicht genehmigen. Sehen Sie sich an, Sean. Es ist jetzt fast fünfzehn Jahre her, dass Ihr Bruder ermordet wurde, und Sie sind immer noch nicht darüber hinweg. Im Gegenteil, Sie lodern vor Wut. Sie wären nie in der Lage, die Situation objektiv anzugehen und Indizien zu sammeln, ohne Ihre Tarnung auffliegen zu lassen.«
    »Doch, das bin ich. Geben Sie mir eine Chance.«
    »Nein. Ich kann nicht.« Seine Worte klangen endgültig, und mir war klar, dass er nicht nachgeben würde.
    »Werden Sie dann wenigstens jemand anderen darauf ansetzen? Ich habe Hinweise, dass Wolfe weiterhin im Drogenhandel tätig ist.«
    »Wie sind Sie an diese Indizien gekommen?«, fragte er mich

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