Instinkt
hatte, mir den Arm um die Schulter und zog mich an sich heran. Ich musste mich zwingen zu lächeln, aber das fiel mir leicht, denn nun wusste ich, dass ich endlich die Chance zur Vergeltung erhalten würde, auf die ich fünfzehn Jahre lang gewartet hatte.
ZEHN
John zählte zu den Burschen, die jeder mochte. Er hatte ein ansteckendes Lachen und einen einnehmenden Charakter. Ständig half er irgendwelchen Freunden, Verwandten oder Nachbarn aus. Für die alte Dame ein Stück weit die Straße runter ging er einkaufen, und als sie kurz nach seinem sechzehnten Geburtstag starb, hinterließ sie ihm fünftausend Pfund. Und was tat er damit? Er spendete tausend Pfund dem örtlichen Kadettenkorps der Armee, wo er Mitglied war, damit sie neue Ausrüstung kaufen konnten. Und meinen Eltern gab er fünfzehnhundert, für eine Familienreise. So war John. Immer selbstlos und großzügig.
Er war sechs Jahre älter als ich, und ich schäme mich nicht zu sagen, dass ich ihn während meiner ganzen Kindheit und Jugend bewunderte, ja verehrte. Er nahm sich immer die Zeit, mit mir Fußball zu spielen, und zu wissen, dass seine schützende Hand nie weit weg war, half mir sicher, genug Mumm zu entwickeln, um mich gegen die Schulhofschläger zu stellen.
Während ich schon immer Polizist werden wollte, brannte John darauf, zur Army zu gehen, und nachdem er mit Bravour die Schule absolviert hatte, tat er es auch. Nie vergesse ich die Parade in Sandhurst, mit der sein Jahrgang den Abschluss der Offiziersausbildung feierte. Der Stolz in den Augen von Ma und Dad, als er an uns vorübermarschierte, meine Aufregung, als ich als Dreizehnjähriger meinen Union Jack schwenkte und zum ersten Mal die Queen sah, wie sie die Parade abnahm. Dann die Familienfotos von uns vieren nach den Feierlichkeiten; John in seiner makellosen Uniform; Fotos, die noch viele Jahre Wände und Kaminsims unseres Hauses zieren würden.
Während seiner Dienstzeit in Nordirland litten wir alle schreckliche Angst. Damals, Ende der Achtziger, war Nordirland für die britischen Truppen immer noch ein gefährliches Pflaster. Bombenanschläge waren an der Tagesordnung. Doch John kam unversehrt zurück und brachte abenteuerliche Geschichten mit von Straßenschlachten, spannungsgeladenen Patrouillenfahrten im Banditengebiet von South Armagh und der endlosen Langeweile auf dem Stützpunkt, während sie darauf warteten, dass etwas passierte.
Und dann überfielen im August 1990 Saddam Husseins Streitkräfte Kuwait, und der Golfkrieg nahm seinen Lauf. John war einer von fünfundvierzigtausend britischen Soldaten, die zusammen mit einer halben Million weiteren aus einer Koalition zahlreicher Länder den Auftrag erhielten, das Land zu befreien. Ich erinnere mich noch, wie erregt er war, weil er endlich in eine richtige Schlacht ziehen würde. Meine Mutter machte sich natürlich Sorgen und wollte nicht, dass er fuhr. Doch bei seinem letzten Besuch nahm er sie in seine kräftigen Arme und sagte ihr, sie brauche sich keine Sorgen zu machen. Dann schüttelte er mir und Dad die Hand und wandte sich mit einem letzten Gruß zur Tür.
Als der Bodenkrieg schließlich im Februar 1991 losging, war es eine der ungleichsten Auseinandersetzungen in der Kriegsgeschichte. Die irakische Armee wurde überrannt, die alliierten Verluste waren minimal. Unglücklicherweise zählte Johns Einheit dazu, die in ihrem Panzerspähwagen aus Versehen von einem amerikanischen A-10-Kampfbomber unter Beschuss genommen wurde. Im Gegensatz zu sechs seiner Kameraden überlebte John die Attacke, allerdings erlitt er schwerste Verbrennungen im Gesicht und am Körper und verlor drei Finger seiner linken Hand. Er verbrachte zwei Monate im Militärhospital, und als man ihm endlich die Bandagen abnahm, wurde meine Mutter ohnmächtig. Sogar ich zuckte zusammen und kämpfte mit den Tränen.
Mit einundzwanzig wurde John als Invalide aus der Armee entlassen. Umfangreiche kosmetische Operationen und Hauttransplantationen halfen, sein Äußeres wenigstens einigermaßen wiederherzustellen, aber die psychischen Wunden waren kaum zu heilen. Er zog sich in sich zurück und litt unter Depressionen, im Grunde hatte er ein posttraumatisches Stress-Syndrom, nur war das damals praktisch noch unerforscht. Er stritt sich ständig mit Ma und Dad und zog schließlich in eine kleine Wohnung in North London, wo er sich verkroch und so gut wie nie ausging, um sein Gesicht vor der Welt zu verbergen.
Aber John war auch eine Kämpfernatur, und
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