Instinkt
fünf Morden konfrontiert, also muss er sich nicht zwingend daran erinnern, dass er für einen ein Alibi hat.«
»Sie glauben ihm aber nicht, oder?«
Sie hob frustriert die Hände. »Offen gestanden, ich weiß es nicht. Tatsache ist: Womöglich kann er für einen der fünf Morde ein wasserdichtes Alibi vorweisen, wobei der Modus Operandi sich bei diesem speziellen Mord, soweit ich mich erinnere, nicht von dem der anderen unterschied. Wenn er also den einen nicht begangen hat, dann …«
»Wir wissen doch überhaupt nicht, dass er ihn nicht begangen hat. Vielleicht will er uns nur an der Nase herumführen.« Doch so, wie er das sagte, klang es, als klammere MacLeod sich an einen Strohhalm.
»Das glaube ich nicht, Sir. Er wirkte unerschütterlich. Ich musste ihm die Erlaubnis erteilen, seinen Anwalt anzurufen.«
MacLeod seufzte. »Na, dann wird es wohl stimmen, nehme ich an. Aber wissen Sie was, Tina? Ich mache diesen Job nun schon seit fünfundzwanzig Jahren …«
»Dafür sehen Sie noch recht jung aus«, entfuhr es Tina, vom Alkohol beflügelt.
Er warf ihr einen irritierten Blick zu, denn ganz offenbar hatte er nicht mit der flapsigen Bemerkung einer ansonsten überernsten Untergebenen gerechnet. Zumal sie sich in einer ernsten Besprechung befanden. Tina verfluchte sich für ihr lockeres Mundwerk und die Dummheit, im Dienst zu trinken. Doch dann fuhr MacLeod unbeirrt fort: »Aber in all den Jahren kann ich mich an keinen Fall erinnern, wo die Schuld des Verdächtigen so in Stein gemeißelt war. Er muss einfach schuldig sein, Tina. Er muss.«
Sie wollte gerade zustimmen, als das Telefon klingelte. MacLeod schaute auf das Display und überlegte einen Moment, ob er den Anruf annehmen sollte. Dann entschied er sich und nahm ab.
Das Gespräch dauerte etwa zwei Minuten, wurde allerdings nur zu einem geringen Teil von MacLeod geführt, der die meiste Zeit genervt zuhörte. Schließlich sagte er, er werde zurückrufen, und legte auf, wobei er den Hörer so heftig auf den Apparat knallte, dass Tina zusammenzuckte.
»Das war Jacobs«, sagte er erschöpft. »Er hat schon mit Kents Mutter und Großmutter gesprochen, die bestätigen, dass die Beerdigung an dem Tag stattgefunden hat, an dem Roisín O’Neill laut Autopsiebericht ermordet wurde. Kent war auf der Beerdigung. Und laut Easyjet ist er am Tag davor nach Inverness und am Tag darauf wieder zurück nach Luton geflogen. Jacobs hat angekündigt, weitere Zeugenaussagen zu sammeln, die Kents Anwesenheit in Inverness beglaubigen. In der Zwischenzeit verlangt er, dass wir die Anklage fallenlassen und seinen Mandanten auf freien Fuß setzen. Es sei ja wohl klar, dass er O’Neill nicht getötet haben könne, und ergo die anderen auch nicht.«
»Was werden Sie tun?«
»Was erwarten Sie denn?«, sagte er und wurde etwas lauter. »Wir haben neben seinem Bett die Mordwaffe gefunden, an der sich seine DNS sowie die von zwei Opfern befand. Und wir haben die Aufnahmen von seinem Computer. Da kann ich ihn wohl schlecht laufenlassen, oder? Ganz gleich, was sein Anwalt verlangt.«
»Natürlich nicht. Das verstehe ich, Sir.«
»Tut mir leid, Tina. Ich weiß, dass Sie das verstehen.« Er wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Aber das stellt die Dinge natürlich in ein völlig anderes Licht. Hat Kent weitere Alibis?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Nur für den Mord an Roisín O’Neill.«
»Dann haben wir also noch genug Belastungsmaterial, um ihn festzuhalten.«
»Trotzdem werden wir Schwierigkeiten bekommen, der Jury sein Alibi zu erklären. Wenn es sich tatsächlich herausstellt, dass er Roisín nicht ermordet haben kann, dann geht unser Fall den Bach runter. Denn der Modus Operandi war bei Roisín derselbe wie bei allen anderen. Das stimmt doch, oder? Ich bin erst nach dem Mord an ihr zum Team gestoßen.«
MacLeod nickte langsam. »Das war er.«
Er lehnte sich zurück und zupfte, ja zerrte an seinem Schnurrbart, als wolle er ihn abreißen. Sein Gesicht war rot angelaufen, und er sah nicht gerade gesund aus; der Stress des Falles nagte offenbar heftig an ihm. Es war bekannt, dass er gerne trank, und Tina fragte sich, ob auch sie eines Tages so enden würde, ausgebrannt, als ein lebender Leichnam, der schon auf das Grab zuwankt.
»Andrew Kent hat diese Morde begangen«, sagte MacLeod plötzlich entschlossen. »Ich weiß nicht, wie er es geschafft hat, ein Alibi zu fabrizieren, aber das kann er sich sonst wohin stecken, denn irgendwie werden wir beweisen, dass es
Weitere Kostenlose Bücher