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Instinkt

Instinkt

Titel: Instinkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Kernick
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Minuten vor der vereinbarten Zeit an die Moteltür klopften. Er saß an dem wackligen kleinen Schreibtisch, der zwischen Garderobe und Fenster gezwängt stand. Es war abends, Viertel nach zehn, und draußen war es bereits stockfinster.
    »Nett, dass ihr gekommen seid, Leute«, begrüßte er uns, erhob sich und schüttelte uns die Hand. Er war nicht übermäßig groß, einsfünfundsiebzig vielleicht, hatte aber die drahtige Statur eines Bantamgewichtlers und besaß die typische bedrohliche Aura der ernstzunehmenderen Kriminellen.
    Er bot uns an, uns aufs Bett zu setzen, aber wir zogen es vor, stehen zu bleiben.
    Mein Kollege war ein routinierter Veteran namens Colin (seinen Nachnamen habe ich nie behalten können), ein kleiner, untersetzter Cockney, der seine silbergraue Mähne nach hinten gelte und dessen Gesicht aussah, als hätte es jemand mit dem Spaten bearbeitet. »Ich höre, du willst Qualitätsware kaufen«, presste Colin zwischen kaum geöffneten Lippen heraus. Ich stand leicht versetzt neben ihm und spielte die Rolle des Bodyguards, mit verschränkten Händen über dem Schritt.
    »Und ich höre, du hast etwas zu verkaufen«, erwiderte Slade gerissen. Offenbar wusste er, dass wir, falls wir Undercover-Cops waren, ihn nicht zu einem Verbrechen ermutigen durften, indem wir ihm etwas anboten, wonach er nicht ausdrücklich verlangt hatte. Das mag wie enervierende Wortklauberei klingen, war aber entscheidend, wenn unser Fall vor Gericht standhalten sollte.
    Und so verlief das ganze Treffen. In den zehn Minuten, die es dauerte, stellte nur Slade die Fragen – nach unserem Hintergrund, unseren Referenzen, der Menge, die wir liefern konnten –, ohne auch nur einmal konkret zu sagen, dass er etwas haben wollte.
    Am Ende riss Colin der Geduldsfaden. »Bist du hier, weil du etwas willst?«, blaffte er. »Oder verschwenden wir nur unsere Zeit mit einem Handlanger?« Seine Worte sollten eigentlich eine wütende Reaktion provozieren. Er wollte Slade dazu bringen, herauszuposaunen, was für eine große Nummer er war, was Kriminelle oft tun, wenn man ihre Reputation anzweifelt. Ich erinnere mich noch, wie ich dachte, Colin ginge angesichts Slades Neigung zur Gewalttätigkeit ein ganz schönes Risiko ein.
    Doch Slade lächelte nur. »Hört euch mal ein bisschen um, dann werdet ihr feststellen, dass ich in der Lage bin, Deals durchzuziehen, große Deals, ich weiß nur gern, mit wem. Aber vielleicht unterhalten wir uns ja bald wieder.« Damit wandte er sich ab, und das Treffen war beendet.
    »Glaubst du, er hat was gerochen?«, fragte ich Colin auf dem Weg zum Auto.
    »Ich wüsste nicht, warum«, brummte Colin und schloss die Tür auf. »Unsere Legende ist wasserdicht. Wir werden ihn schon noch erwischen. Der Kerl ist gierig. Das habe ich in seinen Augen gesehen.«
    Der Gestank raubte mir den Atem, kaum dass ich mich gesetzt hatte. Nach Fleisch, das zu lange gekocht worden war.
    Ich zuckte zusammen und sah Colin an. Der hatte es auch gerochen. Dann hörten wir es brutzeln. Wie Schinken in der Pfanne. Gefolgt von einem verzweifelten, unterdrückten Stöhnen, das mich an einen verwundeten Hund denken ließ. Und es kam aus dem Innern des Wagens.
    Wir fuhren herum.
    Tony Boyle lag auf dem Rücksitz, wobei wir einige Sekunden brauchten, bis wir merkten, dass er es war, denn sein Gesicht schmolz vor unseren Augen. Die Säure leistete ganze Arbeit, von der verätzten Haut stieg in stinkenden kleinen Schwaden Rauch auf. Nur sein Kopf bewegte sich, er ruckte unkontrolliert hin und her. Ansonsten war er vom Mund bis zu den Knöcheln in braunes Klebeband eingewickelt, und hatte keine Chance, etwas gegen die Verätzung zu tun.
    Instinktiv griff Colin nach hinten, um ihm die Reste des Klebebands vom Mund zu reißen, aber er zuckte sofort zurück, weil er sich die Finger verätzte.
    Vor Schmerz brüllend, versuchte Colin, einen Krankenwagen herbeizutelefonieren, während ich mein Schweizer Armeemesser benutzte, um Boyle loszuschneiden. Dabei redete ich ununterbrochen auf ihn ein, sagte ihm, alles würde gut werden, doch ich strafte mich selbst Lügen, weil ich es nicht über mich brachte, sein zerstörtes Gesicht anzusehen, zumal ich selbst durch den ätzenden Gestank, der sich im Wagen ausbreitete, kaum mehr Luft bekam.
    Schließlich schaffte ich es, das ganze Klebeband abzureißen, doch als ich ihn aus dem Wagen ziehen wollte, damit wir draußen Wasser auf seine Wunden schütten konnten, hing er fest und schrie wie am Spieß. Erst als

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