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Instinkt

Instinkt

Titel: Instinkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Kernick
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fünf Uhr hielten wir vor dem Nachkriegsreihenhaus, das ich unter dem Namen Sean Tatelli angemietet hatte. Offiziell war ich langfristig vom Dienst in der CO10 befreit, um einen Burnout auszukurieren, von dem ich den Polizeipsychiater, den ich einmal monatlich aufsuchen musste, hatte überzeugen können. Er hatte mich krankgeschrieben und mir so die Möglichkeit gegeben, mich voll auf den Job zu konzentrieren. Überraschenderweise nagte gerade dieses Manöver am meisten an mir. Ich ließ mich nur ungern krankschreiben, und meine Fehlzeitenliste war eine der besten in der ganzen Abteilung.
    »Lust auf ein Bier, wenn ich heute Abend Tommy Junior Gassi geführt hab?«, fragte Tommy und versuchte, seinem Hund auszuweichen, der bei der Erwähnung seines Namens freudig nach vorn sprang. »Keine lange Nacht, weil, das mit dem Job wird nicht mehr lange dauern. Vielleicht schon morgen. Nur ein oder zwei Bierchen, zum Feiern, dass du mitmachst.«
    Normalerweise hätte ich Ja gesagt. Ich verpasse ungern eine Gelegenheit, einem Verdächtigen näher auf den Zahn zu fühlen. Aber ich musste nachdenken. »Danke, Tom, ich werde mich besser früh hinhauen heute.«
    »Dir geht’s doch gut, oder?«, fragte er und sah mich aufrichtig besorgt an.
    Der irrationale Gedanke durchzuckte mich, ob er meine Gedanken lesen konnte.
    »Mir geht’s bestens. Wieso, was sollte mir fehlen?«
    »Immerhin hast du heute zwei Typen angeditscht. Das machst du ja wohl nicht jeden Tag, oder?«
    »Die wollten es nicht anders«, erwiderte ich mit einer Coolness, die ich nicht verspürte. »Ich habe mich nur gewehrt.«
    Er grinste und entblößte dabei eine Zahnreihe, die dringend renoviert werden müsste. Dann kniff er mich freundschaftlich in die Schulter, wie er es inzwischen schon mehrfach getan hatte. »Du bist in Ordnung, Sean. Und weißt du was? Ich hab dir von Anfang an vertraut. Ich wusste, das wird was. Du bist wie wir. Du bist ein Profi.«
    Ich dankte ihm noch einmal, dass er mir den Job verschafft hatte, ehe ich aus dem Wagen stieg und ihm mit widerstreitenden Gefühlen nachblickte. Das war der Mann, der die Mörder meines Bruders vom Ort des Verbrechens weggefahren und mit ihnen zahlreiche andere verübt hatte. Jahrelang hatte ich ihn mir als ein Monster ausgemalt, der keinen weiteren Gedanken an John verschwendet hatte. Vielleicht war es so gewesen. Ich wusste es nicht, denn ich hatte stets darauf geachtet, das Thema nie anzuschneiden, doch unsere drei gemeinsamen Monate hatten ihn mir viel menschlicher gemacht. Ein zweifelhafter Charakter, sicher, und auch ein ungehobelter Gangster, der nicht davor zurückscheute, Gewalt anzuwenden, wenn er es für geboten hielt. Auf der anderen Seite aber auch ein humorvoller, großzügiger Kerl, der in den Pubs, in denen wir verkehrten, beliebt war und mich aufrichtig zu mögen schien.
    Normalerweise gelang es mir recht gut, meine verschiedenen Leben voneinander zu trennen. Mein Undercover-Ego betrachtete ich als eine Art Avatar, der ein riskantes Rollenspiel spielte, in dem die Leute, mit denen ich es zu tun hatte, eher fleischgewordene Spielfiguren waren. Ein Spiel, das, wenn es endete, sofort durch ein neues abgelöst wurde, ein neuer Level, neue Charaktere. Doch mit Tommy war es anders. Ein Teil von mir verabscheute ihn abgrundtief für das, was er mir und meiner Familie angetan hatte, doch meine andere Seite war wie ein verblendetes Opfer, das unter einer Art Stockholm-Syndrom litt, und hatte ihn aufrichtig gern.
    Zumindest würde mir seine Verhaftung viel weniger Genugtuung verschaffen, als ich zu Beginn der Aktion erwartet hatte.
    Auf dem Weg zur Haustür klangen Tommys Worte noch in meinen Ohren. »Du bist ein Profi.« Doch das war ich nicht. Ich war ein Amateur, der sich von seinen Gefühlen hatte überwältigen lassen und damit alles riskierte, wofür er gelebt und gearbeitet hatte.

VIERZEHN
    »Das glaube ich einfach nicht!«, rief DCI MacLeod, als Tina vor seinem Schreibtisch Platz nahm und ihn auf den neuesten Stand brachte. »Wir verhören ihn fast vierundzwanzig Stunden lang, und als er sich zum Däumchendrehen in seine Zelle zurückzieht, fällt ihm plötzlich ein, dass er ein Alibi hat?«
    Er klang eher verwirrt als verärgert und zupfte nervös an seinem Schnurrbart, eine Angewohnheit, die ihn immer überkam, wenn er unter Stress stand.
    Tina nickte. »Er sagt, wegen der ganzen Aufregung über die Festnahme und die Anschuldigungen hätte er nicht daran gedacht. Wir haben ihn ja auch mit

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