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Instinkt

Instinkt

Titel: Instinkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Kernick
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Dienstjahren wusste ich, dass Leute, die man überrascht, meist bereit sind, sich umstandslos zu ergeben.
    »Volle Rammgeschwindigkeit!«, brüllte Wolfe, gab noch einmal Gas und jagte den Transporter in das Heck des Streifenwagens, der förmlich abhob und fast auf den Krankenwagen geschoben wurde.
    Ein paar Sekunden lang starrte ich fasziniert auf das Drama, das sich vor mir abspielte. Der Adrenalinstoß, als ich dann mit gezückter Pumpgun hinaussprang, war unglaublich, der intensivste, den ich seit Jahren verspürt hatte. Unwillkürlich legte ich den Zeigefinger um den Abzug.
    Während Wolfe zum Krankenwagen rannte, um die Besatzung in Schach zu halten, nahm Haddock sich den Streifenwagen vor. Für einen Mann seiner Größe bewegte er sich außerordentlich wendig, und als der Fahrer den unklugen Versuch machte, die Tür zu öffnen, war Haddock bereits bei ihm, packte ihn an den Haaren, knallte ihn mit dem Kopf gegen den Rahmen und stieß ihn wieder nach drinnen. Sekundenbruchteile später hatte er sich wie ein dämonischer Racheengel breitbeinig vor die Motorhaube gestellt, richtete seine Pumpgun auf die beiden unbewaffneten Polizisten und schrie sie an, sich nicht mehr zu rühren, sonst würde er sie abknallen. Um seinem Befehl Nachdruck zu verleihen, senkte er kurz die Pumpgun und zerschoss den linken Vorderreifen. Der ohrenbetäubende Doppelknall brachte mich in die Realität zurück. Mein Herz jagte.
    Während ich an ihnen vorbeistürmte, warf ich einen kurzen Blick auf die beiden Cops. Den Fahrer, der sich mit beiden Händen den blutenden Kopf hielt, kannte ich nicht, aber seinen Beifahrer: Ryan James, ein stets gut aufgelegter, etwa vierzigjähriger Streifenpolizist, der zur Polizei gegangen war, nachdem er fünfzehn Jahre an einer Mittelschule Physik unterrichtet hatte. Er hatte mir einmal fünfzig Pfund geliehen, als ich ein paar Tage vor dem Zahltag knapp bei Kasse gewesen war. Ich hatte ihn immer gemocht, und ihn jetzt so blass und verängstigt wiederzusehen, ging mir ein bisschen an die Nieren.
    Aber nur so konnte es funktionieren. Und wenn er sich nicht rührte, würde ihm auch nichts passieren.
    Ein zweiter Knall erschütterte die Straße, Haddock hatte auch den anderen Vorderreifen zerschossen. Sein ganzer Körper schien vor Erregung zu beben, er schwang die Remington in hohem Bogen herum und badete in seiner Macht. »Nehmt eure dreckigen Pfoten hoch! Alle beide!«, brüllte er. »Sonst blas ich euch eure verfickten Schädel weg! Kapiert?«
    Dann wandte er sich an mich. »Du hältst die Wichser in Schach und mir den Rücken frei, verstanden?«, bellte er mich an, ehe er sich zum Krankenwagen umdrehte, dessen Hecktüren sich bereits öffneten.
    Es war nicht einfach, drei Leute gleichzeitig im Auge zu behalten, aber ich tat mein Möglichstes. Zum Glück wollte offenbar keiner der beiden Cops den Helden spielen. Ryan James wirkte sogar, als würde er jeden Augenblick einen Herzinfarkt bekommen. Schreckensstarr blickte er in den Lauf meiner Waffe und streckte die Arme so weit es ging in die Höhe.
    Ich riskierte einen Blick auf den Krankenwagen, wo Wolfe nun neben Haddock stand. Die Türen waren jetzt aufgerissen, und zwischen den beiden konnte ich links und rechts der Bahre zwei Uniformen erkennen, die zu einem jungen Mann und einer jungen Frau gehörten, die beide frisch von der Akademie zu kommen schienen. Außerdem sah ich eine Krankenschwester, die einen grünen Overall trug und die Hände ausgestreckt hielt, zum Zeichen, dass sie sich nicht wehrte.
    Wolfe sprang in den Wagen und befahl der Schwester, ihren Patienten loszubinden.
    »Sie dürfen ihn nicht mitnehmen«, sagte sie kaum hörbar, »bitte, er ist schwer krank.«
    »Halt’s Maul und mach, was ich sage«, herrschte Wolfe sie an. »Und zwar plötzlich!«
    Doch die Krankenschwester weigerte sich. »Sie werden ihn nicht mitnehmen!«, schrie sie, fügte aber gleich darauf noch ein gehauchtes »Bitte« hinzu, auch wenn ihr klar sein musste, dass Wolfe nicht auf sie hören würde.
    Blitzschnell packte er sie an den Haaren, riss ihr den Kopf zurück und hielt ihr den Pistolenlauf unter die Nase. »Los jetzt«, herrschte er sie an und zerrte sie zur Trage.
    Wolfes plötzlicher Gewaltausbruch ließ mich zusammenzucken, mein Finger krümmte sich um den Abzug, weil ich mich schlagartig wieder daran erinnerte, was er damals meinem Bruder angetan hatte. Ich wünschte mir sehnlichst, ich könnte es ihm mit gleicher Münze heimzahlen, aber ich musste auf

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