Instinkt
Alptraum wahr. Ich steckte zu tief in diesem Job und sah alles vor meinen Augen den Bach runtergehen. Der verwundete Cop bewegte sich zwar Gott sei Dank noch und hatte sich instinktiv auf die Seite gerollt, aber ohne medizinische Hilfe war er erledigt. Und da der Krankenwagen jetzt ein Wrack und die Besatzung traumatisiert war, bezweifelte ich, dass er sie rechtzeitig bekäme.
Voller Selbsthass stürmte ich los, riss den ausgeknockten Kent auf die Beine und erwürgte ihn fast, während ich ihn mit Wolfes Unterstützung zum Transporter zerrte. Haddock hielt unterdessen die anderen in Schach.
Während der kurzen Zeitspanne seit dem Aufprall war noch kein weiteres Auto in die Szenerie hineingefahren. Allerdings tauchten an beiden Enden der Straße die ersten Passanten auf und starrten im Schutz der parkenden Wagen das an, was sich vor ihren Augen abspielte. Ich fühlte mich wie ein Gaukler in einer Fußgängerzone.
Wolfe öffnete die Seitentür, und ich stieß Kent hinein, der inzwischen wieder halb bei Bewusstsein war. Ich rammte ihm den Lauf meiner Waffe in den Rücken und zwang ihn, sich in den Raum zwischen den Rücksitzen zu legen. Dann sprang ich hinein, und Haddock folgte mir auf der anderen Seite.
Wolfe hatte sich hinter das Steuer geschwungen und kurvte mit quietschenden Reifen um den Krankenwagen herum. Tommy rammte den Bedford in ein parkendes Fahrzeug und schuf so eine Lücke für uns. Als wir zu ihm aufschlossen, ging Wolfe kurz vom Gas, und Tommy hechtete durch die offene Tür und zog sie hinter sich zu.
Wir hatten es geschafft.
VIERUNDZWANZIG
Drei Sekunden lang saß Tina nur da und versuchte zu begreifen, was sie etwa fünfzig Meter die Straße hinunter durch das Flirren der Blaulichter im Dunkeln erkennen konnte. Zuerst dachte sie, der Krankenwagen habe einen Unfall gehabt, weil ein Lieferwagen unbedacht aus einer Seitenstraße eingebogen war, doch dann sah sie die maskierten Männer, die einen anderen in einen Transporter stießen, und kapierte, was da vor sich ging. Kent wurde entführt, und schlimmer noch, die Männer waren bewaffnet. Einer hatte sogar eine Pumpgun. Weiter hinten lag ein an seinem weißen Hemd und der stichsicheren Weste erkennbarer Polizist verletzt am Boden.
»Mein Gott!«, rief Grier ungläubig. »Ist das eine Entführung?«
»Ruf Verstärkung«, herrschte Tina ihn an, da der Transporter plötzlich zurücksetzte und sich dann am Krankenwagen vorbeizwängte. Tina gab Gas.
»Was hast du vor?«
»Glaubst du, ich lasse Kent entkommen?«
Sich einen PS-stärkeren Wagen wünschend, beschleunigte Tina und jagte dem Transporter hinterher. Sie wies Grier an, das Notblaulicht aus dem Handschuhfach zu holen, damit die Flüchtigen merkten, dass die Polizei sie verfolgte.
Tina sah, wie ein weiterer Maskierter in den Transporter sprang, der geschickt durch die schmale Lücke zwischen demolierten Autos hindurchmanövrierte und die Doughty Street in Richtung Theobalds Road davonraste.
Tina schlängelte hinterher, wobei sie ein parkendes Auto streifte. Da es dunkel war, konnte sie das Nummernschild des flüchtenden Wagens nicht erkennen, deshalb gab sie Gas, um näher ranzukommen.
Der Fahrer musste sie bemerkt haben, denn auch er beschleunigte und jagte ohne abzubremsen auf die Kreuzung. Dabei verfehlte er nur knapp einen Fahrradfahrer, der panisch über den Bordstein ausweichen musste, um nicht erwischt zu werden. Das Fluchtfahrzeug bog mit quietschenden Reifen rechts ab und fuhr Richtung Bloomsbury.
Tina blieb nichts anderes übrig, als dasselbe zu tun, wenn sie ihn nicht verlieren wollte. Und das durfte nicht passieren. Nicht mit einer so wertvollen Fracht wie Andrew Kent. Sie biss die Zähne zusammen, ignorierte Griers erschrockenen Protestschrei und schoss ebenfalls ohne zu bremsen auf die Kreuzung, riss das Steuer herum und schaffte es gerade noch, den schleudernden Ford Focus wieder abzufangen, ehe er ein Taxi gerammt hätte, das am Straßenrand hielt, um jemanden aussteigen zu lassen.
Nur zwanzig Meter trennten sie jetzt von dem Transporter, und Tina fühlte einen Rausch der Erregung, der sie normalerweise erschreckt hätte.
Der flüchtende Wagen scherte auf die Gegenfahrbahn aus, überholte einen Bus und zwängte sich ganz knapp vor einem entgegenkommenden Lastwagen zurück in die Spur. Er fuhr mittlerweile mindestens hundert, und Tina jagte den Drehzahlmesser bis zum Anschlag hoch, um an ihm dranzubleiben.
»Mein Gott, pass doch auf!«, schrie Grier, als sie kurz ins
Weitere Kostenlose Bücher