Intensity
wieder und hört überrascht, daß seine donnernden Herzschläge einander jagen.
Er hat nie Angst, nie. Doch diese Frau hat ihn nun schon mehr als einmal verunsichert .
Ein paar Schritte in den Raum, dann bleibt er stehen und reißt sich zusammen. Nun, da er sich im Haus befindet, ist ihm nicht mehr klar, warum es ihm so wichtig vorkam, sie sofort zu töten.
Intuition.
Aber seine Intuition hat ihn noch nie dermaßen undeutlich angebrüllt wie jetzt, und die Nachricht stürzt ihn in einen Konflikt. Die Frau ist etwas Besonderes, und er will sie unbedingt auf besondere Art und Weise benutzen. Ihr einfach nur zwei Kugeln in den Hinterkopf zu jagen oder den Schraubenzieher ein paarmal in sie hineinzustecken wäre eine furchtbare Verschwendung ihres Potentials.
Er hat nie Angst, nie.
Schon allein der Umstand, daß er dermaßen beunruhigt ist, ist eine Provokation für sein positives Selbstbild. Die Dichterin Sylvia Plath, deren Werk in Mr. Vess ungewöhnlich zwiespältige Empfindungen auslöst, hat einmal geschrieben, die Welt werde von Panik beherrscht, »Panik mit einem Hundegesicht, einem Teufelsgesicht, einem Hexengesicht, einem Hurengesicht, gesichtslose Panik in Großbuchstaben, überall herrscht Johnny Panik, ob er nun schläft oder wacht«. Aber Johnny Panik beherrscht Edgler Vess nicht, wird ihn niemals beherrschen, weil Mr. Vess sich keine Illusionen über die Natur des Daseins macht, keinen Zweifel am Sinn seiner Existenz hegt und es in seinem Leben keinen einzigen Augenblick gibt, der neu gedeutet werden muß, wenn er einmal Zeit für besinnliche Gedanken hat.
Gefühle.
Erfahrungen.
Intensität.
Wenn er Angst hat, kann er nicht intensiv leben, denn Johnny Panik unterdrückt Spontaneität und Experimente. Daher wird er dieser geheimnisvollen Frau nicht erlauben, ihn zu verwirren.
Als sowohl sein Atem als auch sein Herzschlag sich normalisiert haben, dreht er den gummiüberzogenen Griff des Schraubenziehers immer wieder in der Hand und betrachtet die kurze, stumpfe Schneide am Ende des langen Stahls.
Schon als Vess in die Küche kam, noch bevor er etwas sagte, spürte Chyna, daß er sich verändert hatte und nicht mehr der Mann war, den sie bislang gekannt hatte. In solch einer Stimmung hatte sie ihn bisher noch nicht erlebt, auch wenn der Unterschied so fein war, daß sie ihn nicht genau definieren konnte.
Er näherte sich dem Tisch, als wolle er sich setzen, blieb dann aber kurz vor seinem Stuhl stehen. Stirnrunzelnd und stumm starrte er sie an.
In der rechten Hand hielt er einen Schraubenzieher. Unaufhörlich rollte er den Griff zwischen den Fingern, als wolle er eine imaginäre Schraube festziehen.
Hinter ihm lagen Erdklümpchen auf dem Boden. Er war mit schmutzigen Schuhen ins Haus gekommen.
Sie wußte, daß sie auf keinen Fall als erste etwas sagen durfte. Sie befanden sich an einer seltsamen Wegscheide, an der Worte nicht mehr die gleiche Bedeutung wie zuvor hatten und die unschuldigste Erklärung eine Aufforderung zur Gewalt sein konnte.
Noch vor kurzem hätte sie es vorgezogen, daß er sie schnell tötete, und versucht, einen seiner gemeingefährlichen Impulse auszulösen. Sie hatte sich auch überlegt, wie sie trotz des Umstands, daß sie gefesselt war, Selbstmord begehen konnte. Nun hielt sie die Zunge im Zaum, um ihn nicht unabsichtlich zu reizen.
Offensichtlich hegte sie selbst in ihrer Verzweiflung ein kleines, aber hartnäckiges Fünkchen Hoffnung, das sich grau getarnt hatte, so daß sie es nicht sehen konnte. Eine dumme Verleugnung. Eine elende Sehnsucht nach einer weiteren Chance. Hoffnung, die ihr immer erhebend vorgekommen war, schien nun so entmenschlichend wie fieberhafte Gier zu sein, so schmutzig wie Lust, nur ein animalischer Hunger, weiterzuleben, was es auch koste.
Sie war an einem tiefen, öden Ort.
»Gestern nacht«, sagte Vess schließlich.
Sie wartete.
»Im Wald mit den Mammutbäumen.«
»Ja?«
»Haben Sie da etwas gesehen?« fragte er.
»Was gesehen?«
»Etwas Seltsames?«
»Nein.«
»Sie müssen etwas gesehen haben.«
Sie schüttelte den Kopf.
»Die Elche«, sagte er.
»Ach. Ja, die Elche.«
»Eine ganze Herde.«
»Ja.«
»Sie sind nicht der Ansicht, daß sie etwas Besonderes waren?«
»Küstenelche. Die kommen in dieser Gegend vor.«
»Aber diese Tiere schienen fast zahm zu sein.«
»Vielleicht, weil ständig Touristen durch den Park fahren.«
Den Schraubenzieher noch immer langsam drehend, dachte er über ihre Erklärung nach.
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