Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Intensity

Intensity

Titel: Intensity Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
Vom Netzwerk:
schnell in den Keller zurück, und die Holzplatte knallte dort, wo sie gerade noch gestanden hatte, auf den Boden des Vorraums.
    Chyna wartete, kam langsam wieder zu Atem und lauschte im Haus auf Anzeichen dafür, daß Vess zurückgekehrt war.
    Schließlich betrat sie den Vorraum wieder. Sie schritt über die zu Boden gestürzte Tür wie über eine Brücke und ging in die Zelle.
    Die Puppen beobachteten sie heimlich und reglos.
    Ariel saß mit gesenktem Kopf in dem Sessel, die Hände auf dem Schoß zu Fäusten geballt, genau, wie sie dort gesessen hatte, als Chyna durch die Öffnung in der Tür zu ihr gesprochen hatte. Falls sie das Hämmern und den nachfolgenden Tumult gehört hatte, hatte sie sich davon nicht stören lassen.
    »Ariel?« sagte Chyna.
    Das Mädchen antwortete weder, noch hob es den Kopf.
    Chyna setzte sich auf den Hocker vor dem Sessel. »Schatz, wir müssen jetzt gehen.«
    Als sie keine Antwort bekam, beugte Chyna sich vor, senkte den Kopf und schaute in das überschattete Gesicht des Mädchens hinauf. Ariels Augen waren geöffnet, und ihr Blick war auf die weißen Knöchel ihrer Fäuste gerichtet. Ihre Lippen bewegten sich, als würde sie jemandem Vertraulichkeiten zuflüstern, aber kein Ton kam über ihre Lippen.
    Chyna legte ihre gefesselten Hände unter Ariels Kinn und schob ihren Kopf hoch. Das Mädchen versuchte nicht, die Hand abzuschütteln, und zuckte nicht zusammen. Der Haarschleier glitt aus ihrem Gesicht. Obwohl sie sich in die Augen sahen, starrte Ariel durch Chyna hindurch, als sei alles in dieser Welt transparent, und in ihren Augen war eine ernüchternde Kälte, als sei die Landschaft ihrer anderen Welt leblos und ungemütlich.
    »Wir müssen gehen. Bevor er nach Hause kommt.«
    Die Puppen mit den hellen und aufmerksamen Augen hörten vielleicht zu. Ariel offensichtlich nicht.
    Chyna legte beide Hände um eine Faust des Mädchens. Die Knochen waren spitz, die Haut war kalt, und die Faust war so fest verkrampft, als baumele das Mädchen damit an einer Felskante über einem Abgrund.
    Chyna versuchte, die Finger aufzuzwingen. Die marmornen Gelenke der Faust einer Statue hätten kaum mehr Widerstand leisten können.
    Schließlich hob Chyna die Hand hoch und küßte sie zärtlicher, als sie je zuvor etwas geküßt hatte, zärtlicher, als sie je zuvor geküßt worden war, und sagte leise: »Ich will dir helfen. Ich muß dir helfen, Schatz. Wenn ich nicht mit dir von hier fortgehen kann, ist es sinnlos, daß ich überhaupt fortgehe.«
    Ariel antwortete nicht.
    »Bitte laß mich dir helfen.« Noch leiser: »Bitte.«
    Chyna küßte die Hand erneut, und endlich spürte sie, daß die Finger des Mädchens sich bewegten. Kalt und steif öffneten sie sich etwas, wollten sich aber nicht völlig entspannen, waren so verkrümmt und starr wie die Finger eines Skeletts, dessen Gelenke verkalkt waren.
    Dieser innere Kampf Ariels, einerseits das Verlangen, die Hand hilfesuchend auszustrecken, andererseits diese lähmende Furcht davor, irgendwem zu vertrauen, war Chyna schmerzlich vertraut. Der Anblick schlug in ihr eine Saite des Mitgefühls und Mitleids für dieses Mädchen an, für alle verlorenen Mädchen, und schnürte ihr dermaßen heftig den Hals zu, daß sie einen Augenblick lang weder schlucken noch atmen konnte.
    Dann schob sie eine Hand in die Ariels und die andere darüber und erhob sich von dem Hocker. »Komm schon, Kind«, sagte sie. »Komm mit mir. Hier weg.«
    Obwohl Ariels Gesicht so ausdruckslos wie ein Ei blieb, obwohl sie weiterhin durch Chyna hindurchsah, als sei sie eine weltabgewandte Novizin im Bann einer heiligen Heimsuchung, in deren Kopf Visionen kreisten, erhob sie sich aus dem Sessel. Doch als sie gerade einmal zwei Schritte in Richtung Tür getan hatte, blieb sie stehen und setzte trotz Chynas Bitten keinen Fuß mehr vor den anderen. Das Mädchen mochte eventuell noch imstande sein, sich eine Traumwelt vorzustellen, in der sie einen zerbrechlichen Frieden fand, einen ureigenen Wilden Wald, aber vielleicht konnte sie sich nicht mehr vorstellen, daß diese Welt sich über die Wände ihrer Zelle hinaus erstreckte, und da sie es sich nicht mehr vorstellen konnte, konnte sie die Schwelle auch nicht übertreten.
    Chyna ließ Ariels Hand los. Sie suchte eine Puppe aus – eine aus Porzellan mit goldenen Ringellöckchen und bemalten grünen Augen, die eine weiße Schürze über einem blauen Kleid trug. Sie drückte sie gegen die Brust des Mädchens und ermunterte sie, sie zu umarmen.

Weitere Kostenlose Bücher