Internat auf Probe
irgendwie nicht so meine Disziplin.“
Herr Dunker tritt einen Schritt zurück und deutet wortlos auf die Hochsprungmatte und die Stange in der Halterung. Sie liegt so hoch, dass Carlotta kurz darüber nachdenkt, einfach unter ihr hindurchzuspazieren und eine Sechs zu riskieren.
Herr Dunker wippt ein bisschen ungeduldiger.
„Bitte, Fräulein Prinz“, seufzt er. „Wenn es geht, heute noch!“
Brendan, Felix und ein paar andere Jungs lachen. Falls es möglich wäre, würde Carlotta noch einen Tick röter werden, aber das ist so gut wie ausgeschlossen.
„Na gut …“, seufzt sie. „Wenn’s sein muss!“
Als sie Anlauf nimmt, denkt sie noch kurz an die Blamage, die ihr unmittelbar bevorsteht, aber dann liegt sie schon auf der dicken Matte hinter der haushohen Stange und staunt über sich selbst. Irgendwie ist sie darübergekommen. Und die Stange liegt noch in der Halterung!
Manu und Sofie applaudieren, die Jungs johlen und pfeifen, und Herr Dunker macht ein zufriedenes Gesicht. „Geht doch“, sagt er.
Grinsend stellt Carlotta sich in die Reihe zurück und wartet darauf, dass ihr Puls sich wieder normalisiert.
Puh, denkt sie. Das war gar nicht mal schlecht!
„Bleibst du bitte nach der Stunde kurz da?“, fragt Herr Dunker beiläufig. „Ich würde gern mit dir über eine AG sprechen.“
„Ja, klar.“ Carlotta nickt. Als der Lehrer sich umdreht, runzelt sie die Stirn. Der Spargel will sie doch hoffentlich nicht in die Hochsprung-AG stecken, nur weil sie einmal mit Glück und reichlich Rückenwind über die Stange gekommen ist?
Kommt gar nicht in die Tüte, denkt Carlotta. Lieber mach ich Wettkampf-Mikado!
„Du weißt sicher, dass dein Vater ein sehr erfolgreicher Ruderer in unserer Schulmannschaft war?“, fragt Herr Dunker.
Der Großteil der Klasse ist nach der Stunde schon auf dem Weg zum Mittagessen, während eine kleine Gruppe noch die Hochsprunganlage aufräumt.
Carlotta steht mit dem Sportlehrer neben der Tartanbahn und guckt zu ihnen hinüber. Sie nickt zerstreut. „Klar, er hat’s mir mal erzählt.“
„Leider habe ich ihn damals nicht trainiert, das war vor meiner Zeit. Aber du weißt vielleicht, dass ich jetzt die Ruder-AG leite?“, fragt Herr Dunker weiter.
„Nein“, antwortet Carlotta.
Herr Dunker kratzt sich am Kopf. „Hast du dich schon für eine AG entschieden?“
Wieder antwortet Carlotta mit Nein, während sie sich fragt, worauf dieses merkwürdige Frage-und-Antwort-Spiel wohl hinauslaufen soll. Kann er nicht einfach zur Sache kommen?
„Hättest du vielleicht Lust, in die Fußstapfen deines Vaters zu treten?“ Der Spargel macht einen eleganten Ausfallschritt mit seinen Tretbooten und mustert Carlotta von unten bis oben. „Du bist recht groß für dein Alter und sehr schlank. Du hast genau die richtige Figur fürs Rudern. Wenn du dazu noch das Talent deines Vaters geerbt hast …“ Er spricht nicht weiter.
Carlotta zieht die Nase kraus.
„Ich bin aber noch nie gerudert“, sagt sie.
„Außer, als mein Vater mit mir mal in so einem Freizeitpark Kanu gefahren ist. Aber das zählt wohl nicht.“
Herr Dunker lacht. „Wohl nicht. Aber das macht nichts. Du würdest sowieso zuerst in die Anfängergruppe kommen, bis wir sehen, wie du dich entwickelst und mit dem Boot zurechtkommst. Schwimmen kannst du doch?“
„Na klar, ich hab das silberne Schwimmabzeichen!“
„Sehr schön. Dann komm doch morgen Nachmittag um drei zum Bootshaus. Du weißt, wo das ist?“
Carlotta nickt. „Angucken kann ich’s mir ja mal.“
„Prima!“ Herr Dunker gibt ihr die Hand. „Ich freu mich. Bis morgen!“
Nachdenklich packt Carlotta ihre Sportsachen zusammen und schlendert durch den Park zum Schloss. Ein bisschen überrumpelt fühlt sie sich schon, aber andererseits … Sie muss sich sowieso für eine AG entscheiden. Warum also nicht Rudern? Was Papa wohl dazu sagt? Sie kichert leise vor sich hin. Dass ihr auf dem schmalen Fußweg jemand entgegenkommt, bemerkt sie erst, als sie unsanft mit diesem Jemand zusammenprallt.
„Hey, pass doch auf!“, wird sie von einem Jungen angeraunzt.
„Pass doch selber auf!“, raunzt sie zurück.
Sie starrt den Jungen an. Der Junge starrt zurück. Dann grinst er breit.
„Hey, was machst du denn hier?“, fragt er und entblößt einen abgebrochenen Schneidezahn. „Ist etwa schon wieder Schnösel-Tag?“
Carlotta grinst auch. Vor ihr steht Huckleberry Finn alias Jonas. Er sieht genauso aus wie bei ihrer ersten Begegnung am See. Sogar
Weitere Kostenlose Bücher