Internet – Segen oder Fluch
neue Flingofon ab sofort ein Ding der Unmöglichkeit wäre, sondern unter anderem «Ich bin ein fortschrittlicher Bürger, ebenso wie alle meine Freunde, die bereits Flingofone besitzen. Man könnte mich versehentlich für desinteressiert an der Gegenwart halten, wenn ich auf Zugfahrten das Vorgängermodell ohne Teilchenbeschleuniger auspacke». Beide Haltungen sind irrational. Und beide sind rational, wenn man davon ausgeht, dass alle Beteiligten korrekt einschätzen, welchen sozialen Nutzen ihnen die ausgesendeten Signale bringen.
Noch vor nicht allzu langer Zeit galt es als Provokation, wenn Frauen Hosen oder Männer keinen Hut tragen wollten. Inzwischen gibt es in der Mode ein deutlich breiteres Spektrum an Erlaubtem und Akzeptablem, auch wenn Männer außerhalb kleiner Subkulturen immer noch keine Röcke tragen dürfen. Vielleicht wird es eines Tages auch beim Umgang mit dem Neuen mehr Optionen geben, die einen so wenig zum Modeopfer oder Fortschrittsfeind abstempeln wie heute die Entscheidung für oder gegen einen Hut.
Nicht so gute Argumente
«Das Neue ist doch nur dasselbe in schneller/anders/ billiger»
Andere Quantitäten bedeuten manchmal auch andere Qualitäten, nicht nur mehr desselben. Man könnte argumentieren, der Buchdruck sei nur schneller und vielleicht etwas billiger als das handschriftliche Abschreiben eines Buchs. Tatsächlich brachte er ganz andere Strukturen und soziale Folgen mit sich. Der Fernsehjournalist Friedrich Küppersbusch befand 1996 im
Spiegel
unter dem Titel «Wer nichts wird, wird virtuell», das Internet sei nur «die Neuerfindung des Telefons, jetzt mit Bild und Datenleitung», «nichts anderes als der CB -Funk der siebziger Jahre», und die Interaktivität habe das Fernsehen schon zwanzig Jahre vor dem Internet erfunden, schließlich könne der Zuschauer im Studio anrufen. Irgendetwas am Neuen ähnelt immer einer Vorgängertechnologie. Und in irgendeiner Hinsicht ist es auch ganz anders. Die Ähnlichkeiten sind nur leichter zu erkennen als die unbekannten neuen Seiten.
«Es ist doch ganz offensichtlich, dass die Welt/das Internet heute schlechter/besser ist als vor zwanzig Jahren.»
Erstens ist nie etwas offensichtlich, und zweitens hat dieses Argument verdächtig oft mit der Frage zu tun, ob sich die Lebensumstände des Vortragenden in den letzten zwanzig Jahren verbessert oder verschlechtert haben. Es ist ohne weiteres möglich, dass die Behauptung über die Gegenwart stimmt. Aber man sollte von diesem Argument vorsichtshalber ein paar Glaubwürdigkeitsprozente abziehen, wenn sich die eigene Geschichte in dieselbe Richtung entwickelt hat wie angeblich die gesamte Welt. Dasselbe gilt, wenn man eine zukünftige Entwicklung als vorteilhaft preist, von der man mehr als andere profitieren würde, oder allgemeine Verschlechterungen sieht, wo die eigene Lebensweise gefährdet wäre.
«Jaja, so wie mit dem Jetpack, das man mir versprochen hat.»
Machen Sie es nicht wie die Autoren dieses Buchs, die 2005 im Blog RIESENMASCHINE über ewig angekündigte, nie eintreffende «Godot-Trends» spotteten, darunter das durch «hartnäckige Nichtexistenz» glänzende E-Paper. Fünf Minuten später wird das eben noch Verlachte nämlich doch noch erfunden, und dann steht man da. Flugmaschinen, das Ende von Hungersnöten (zumindest in einigen Ländern) und die Verwandlung anderer Elemente in Gold [23] blieben ziemlich lange Godot-Trends. Dass etwas bisher nicht eingetreten ist, heißt nicht, dass es niemals eintreten wird. Wer weiß, vielleicht klappt es ja auch noch mit den Jetpacks oder dem Weltfrieden, das Internet erweist sich als «Mode, die wieder vorbeigeht», oder wir werden alle von machthungrigen, intelligenten Maschinen aufgefressen.
«Aber es passiert doch in Literatur/Musik/Technologie gar nichts wirklich Neues mehr.»
Solange das Neue noch neu ist, ist es gut getarnt. Thomas Bell saß 1858 dem Treffen der Linnean Society vor, bei dem Darwins Evolutionstheorie erstmals vorgestellt wurde, und schrieb in seinem Jahresbericht: «Das vergangene Jahr trug nicht den Stempel einer jener herausragenden Entdeckungen, die ihr Fachgebiet über Nacht sozusagen revolutionieren.» Wer im ausgehenden 19 . Jahrhundert versucht hätte, die musikalischen Umwälzungen des 20 . Jahrhunderts vorherzusagen, der wäre vermutlich nicht darauf gekommen, dass die Musik, die schwarze Amerikaner nach der Arbeit zu ihrem Privatvergnügen machten, darin eine wesentliche Rolle spielen
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