Internet – Segen oder Fluch
bestimmten Konventionen und Regeln, egal ob älteren oder neueren, weil er ihren Sinn erkannt hat – und natürlich auch schlicht aus Gewohnheit. Dann ist es unerfreulich, wenn wiederum neue Ahnungslose mit ihren schmutzigen Stiefeln über alles Bewährte trampeln dürfen, nur weil sie sich mit einer modischen Technologie auskennen, die man selbst für gar nicht so nützlich hält. Diese lobbyesken Verstrickungen erwähnen beide Seiten nur ungern. Das private, biographisch bedingte Behagen oder Unbehagen an einer Innovation wird in die scheinbar objektive Diskussion ihrer technischen Vorzüge und Nachteile verschoben.
Keine Seite will zugeben, dass die andere vielleicht auch ein bisschen recht haben könnte. «Es scheint ein Gesetz zu geben», schreibt der Kommunikationsforscher Michael Giesecke, «dass die Ambivalenzen der Medien und Technologien in der öffentlichen Diskussion immer unterdrückt werden müssen. Wie von selbst vollzieht sich in Anbetracht technischer Errungenschaften eine mechanische Aufspaltung der Meinungen in der öffentlichen Diskussion. Es gibt nur ein Entweder-Oder und man vergisst nur zu leicht, dass die Stärken aller neuen Medien zugleich auch ihre Schwächen sind. Je gewaltiger die Versprechungen eines Mediums sind, desto gewaltiger fallen seine Zerstörungen auf anderen Feldern aus.»
Was diese Versprechungen und Zerstörungen für die eigene Branche bedeuten, ist vor und während der Umwälzung gar nicht so einfach zu erkennen. Um zu begreifen, wie sich der eigene Beruf verändert, müsste man zunächst einmal wissen, welche Funktionen dieser Beruf eigentlich hat, für andere und für einen selbst. Und diese eigentlichen Funktionen liegen nicht unbedingt auf der Hand. Vielleicht hat man den Beruf einmal aus Gründen ergriffen, die schon zu diesem Zeitpunkt überholt waren. Das Prestige eines Berufs etwa überdauert dessen Abwertung oft noch eine Weile, so ist beispielsweise Apotheker immer noch ein angesehener, weil medizinisch-akademischer Beruf, der ein Studium erfordert, obwohl der Arbeitsalltag dem eines Einzelhandelskaufmanns entspricht. Vielleicht sind einem Wesen und Funktion des Berufs, den man ergriffen hat, auch einfach nicht so wichtig. Statt sich darüber Gedanken zu machen, sieht man eine Art wohlwollende Magie am Werk: Ich bin täglich von 8 bis 17 Uhr am Arbeitsplatz anwesend, dafür taucht auf meinem Konto Geld auf. Einer Studie der Unternehmensberatung Proudfoot zufolge verbringen Beschäftigte in deutschen Betrieben jährlich im Durchschnitt 32 , 5 Tage mit sinnloser Arbeit, einer der Gründe dafür sei, dass viele Mitarbeiter gar nicht wüssten, was genau ihre Aufgabe sei. Besonders in großen Konzernen ist selten allen Beschäftigten klar, was eigentlich das Wichtigste an der eigenen Stelle ist, und vielleicht lohnt es sich für sie sogar, nicht genauer nachzufragen. Am Ende käme sonst die Führungsebene auf die Idee, den tatsächlichen, wirtschaftlichen Beitrag von Abteilung 17 -Z zum Unternehmenswert präzise ermitteln zu wollen.
Auch wenn die Arbeit weder sinnlos wirkt noch sinnlos ist, steckt nicht unbedingt derjenige wirtschaftliche Sinn dahinter, den man selbst in ihr sieht. Unternehmensberater etwa sollen häufig nicht zwingend etwas Neues über ihre Klienten herausfinden. Das Wesen ihres Berufs liegt vielmehr darin, mit Hilfe ihres Prestiges und Außenseiterstatus unpopuläre Entscheidungen gegen unternehmensinterne Widerstände durchsetzen zu helfen. Will man sich also eine Meinung über die Zukunft des eigenen Berufs bilden, dann hilft es, wenn die eigene Vorstellung von dessen Zweck und Nutzen nicht allzu weit von den Vorstellungen der Kunden oder Klienten abweicht. So hat man gute Chancen zu erkennen, aus welcher Richtung eigentlich Konkurrenz droht. Ein Tankstellenbetreiber wird wissen, dass er einen Großteil seiner Umsätze mit Alkohol und Lebensmitteln macht, dass also weniger die Launen des Ölpreises als eine Lockerung der deutschen Ladenschlussgesetze sein Geschäft bedrohen könnten. Für Journalisten, die sich im Geschäft mit hochwertigen Texten wähnten, lag es dagegen viel weniger klar auf der Hand, dass das Abwandern des Kleinanzeigengeschäfts ins Internet eine Gefahr für ihre Branche darstellte. Kaum jemand hat einen Röntgenblick für alle entscheidenden Funktionen, die sein Beruf erfüllt. Und ob er sie erfüllt.
Für ganze Unternehmen, die sich von der Disruption so ungern überrollen lassen wie Arbeitnehmer und Selbständige,
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